29. November 2015

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Als wir unsere Garderobe wieder für uns alleine haben, sagt Merle: „Ganz schön mutig, dass du dem gesagt hast, dass Cokko den Auftritt gewonnen hatte!“
„Ich bin nicht gut im Lügen.“
„Ja, so ist er, unser Bandgründer“, grinst mein Kumpel. „Mutig genug, keinen anzulügen, aber auch mutig genug, endlich mal sein geheimnisvolles Lied zu singen?“
Ich verdrehe die Augen. Na klar, das musste dringend noch mal erwähnt werden.

Nachdem sich die Ereignisse in den vergangenen Wochen fast überschlagen haben, passiert nun auf einmal das Gegenteil: nichts. Die Zeit schleicht. Die Minuten verrinnen. Langsam, sehr langsam. Es ist hübsches Sommerwetter, aber mir ist kalt. Rinus hat einen Wasserkocher, Teebeutel und eine große Tasse aufgetrieben und daran halte ich mich nun fest und wärme meine zittrigen Finger.
„Kommst du mit, das Catering ausprobieren?“, fragt Lisanne.
Nach unserem späten Frühstück wäre es ein guter Zeitpunkt für ein spätes Mittagessen, aber schon der Gedanke an Essen führt dazu, dass sich mein Hals verengt. Also gehen die drei ohne mich. Nach kurzer Zeit sind Lisanne und Miloš mit ihren Tellern zurück. „Willst du mal kosten?“, fragt sie und hält mir etwas hin.
„Was ist das?“
„Gebratener Käse im Sesammantel. Total lecker.“
„Lass mal.“ Lieber gehe ich zum Klo. Scheinbar habe ich als einziger Lampenfieber.
Als ich ohne Änderung zurück komme, leckt Miloš sich gerade das Ketschup von den Fingern. „Was ist mit dir?“, fragt er freundlich.
„Ich bin ein kleines bisschen nervös“, untertreibe ich unwesentlich.
„Warum?“
Warum?!“, fahre ich ihn an. „Weil wir gleich vor ich weiß nicht wie vielen Leuten stehen und Musik machen werden?!“ Ich merke, wie die Angst sich Bahn bricht, aber ich kann sie nicht mehr bändigen. „Du hast es gut, du hast schon massenweise Live-Auftritte hinter dir, und wahrscheinlich hast du eh’ kein Problem mit Lampenfieber, ich mein, ist ja auch klar, du zeigst sowieso nie Gefühle, wer weiß, ob du überhaupt welche hast!“
„Jeremy, du bist ungerecht! Miloš kann nichts dafür, dass du Angst hast!“, weist Lisanne mich zurecht.
„Jaja, der kann nie für irgendwas dafür. Wehe, es sagt einer was gegen deinen Lieblingsbosnier“, knurre ich und verlasse die Garderobe.
Der Lieblingsbosnier folgt mir eine Viertelsekunde später. Er packt mich am Arm; nicht so fest, dass es weh tut, aber fest genug, dass ich nicht entwischen kann. Ich höre auf mit meinem Fluchtversuch.
Sofort lässt er los, denn er weiß, dass ich allergisch reagiere auf tätliche Übergriffe.(131) „Was ist mit dir?“
„Ach“, schnaube ich wegwerfend.
„Gut, dann erkläre ich es dir“, sagt er ruhig und klappt seinen Daumen aus. „Lisanne und Merle und ich lassen dich keinen Moment auf der Bühne alleine.“ Zum Zeigefinger sagt er: „Außerdem ist Jesus auch dabei und eine Horde Engel“, und zum Mittelfinger: „Wir sind super vorbereitet; in Hoorn wollten sie uns nicht gehen lassen. Drei Gründe, warum es sich nicht lohnt, Angst zu haben.“
Ja, du hast Recht. Gott hat mir das auch schon aufgelistet. Und trotzdem.
„Viertens. Es tut mir leid, dass ich dich eben unter Druck gesetzt habe wegen deines Lieds. Keiner von uns wird dich verachten, wenn du es nicht singst. An unserer Beziehung wird sich nichts ändern. Okay?“

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