29. November 2015

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„Was heißt das, er hat sich verändert? Wie war er denn früher? Und warum hat er sich innerhalb eines halben Jahres so verändert? Sorry, wenn ich dich so über ihn ausfrage, aber er ist halt ein interessanter Typ.“
„Frag ihn das lieber selber.“
„Warum, sind anrüchige Sachen dabei?“
„Meines Wissens nicht, aber ich will nichts in Umlauf bringen, was er nicht in Umlauf gebracht haben möchte.“
„Aha. Bester-Freund-Schweigepflicht.“
„Genau.“
„Wäre es denn okay für dich, wenn er und deine Ex ein Paar werden?“
„Hab ich noch nicht drüber nachgedacht … aber warum sollte es das nicht sein?“
„Na ja, du würdest die Frau dann sicher wieder häufiger sehen.“
Ich winke gelassen ab. „Zuerst würde ich vermutlich gar keinen von beiden häufiger sehen“, äußere ich, und dabei fällt mir auf: Warum wird er mich wohl gestern gefragt haben, wie Christsein und Sex zusammen passen? Au weia, lieber Mitbewohner! „Und außerdem: wenn es nicht okay wäre, glaubst du, dass Miloš deswegen mit ihr Schluss macht?“
Sie schüttelt den Kopf.
„Wenn ich Miloš wäre, würde ich es lassen. Sie ist noch zu viel mit ihrem Ex beschäftigt und der Beziehung und was dabei schief gelaufen ist. Das zumindest schließe ich aus dem, was er so von ihr erzählt.“
„Und … was ist schief gelaufen in der Beziehung?“
Puh. „Neben den ganzen Sachen, die einen irgendwann furchtbar nerven und die dann zu einer Trennung führen? Ich glaube, wir haben uns zuletzt zu wenig umeinander gekümmert. Und sie hat mal gesagt, sie hätte mehr Verbindlichkeit gebraucht.“
„Als besonders unverbindlich habe ich dich bisher nicht wahrgenommen.“
„Wie gesagt, es ist ein Jahr vergangen. Helena ist nicht die einzige, die sich verändert hat.“
„Helena ist ein schöner Name.“
„Sie ist auch selber sehr schön.“
Sie seufzt. „Manchmal wünsch ich mir, dass das auch jemand von mir sagt. Bei mir heißt es immer nur, ich wäre ein Energiebündel, ein toller Kumpel, eine Wucht oder so nette Dinge.“ Nun schaut sie auf. „Sorry, vergiss es. Das klingt nach einem fetten Minderwertigkeitskomplex. Lass uns über was anderes reden.“
„Stimmt“, mache ich, „meinen Komplex hattest du vorhin schon angesprochen, deinen haben wir jetzt auch abgearbeitet – also können wir uns um andere Sachen kümmern.“
„Bist du böse, dass ich das eben gesagt habe?“
„Ein bisschen“, sage ich ehrlich.
„Was kann ich tun, damit du nicht mehr böse bist?“
Die Frage passt nicht zu der Merle, die ich bisher kennen gelernt habe. Normalerweise geht sie eher ruppig über zwischenmenschliche Feinheiten hinweg und serviert lieber einen flapsigen Spruch, anstatt dem anderen Empfindlichkeiten zuzugestehen und damit auch sich selber verletzlich zu zeigen.
Deswegen verzeihe ich ihr sofort, sage aber: „Das ist schwierig. Du könntest den Gang nach Canossa damit anfangen, indem du mir noch ein Eis holst.“
„Na, dann los zur Eisdiele Canossa!“ Sie lacht und steht auf. „Mit Streuseln?“
„Klar“, lache ich auch.
Ich gehe hinter ihr her und in den Türrahmen gelehnt schaue ich ihr zu, wie sie das Eis aus dem Tiefkühlfach holt, zwei Schälchen füllt und beide mit Streuseln verziert. Sie ist tatsächlich eine Wucht, ein Energiebündel und ganz sicher ein toller Kumpel. Aber sie ist auch schön. Ich habe nie vorher drauf geachtet, weil sie halt unsere Brüllamsel ist; im Proberaum geht es um andere Themen. Sie bewegt sich überhaupt nicht schwerfällig. Fast schwebt sie durch den Raum. Wenn man sie nur sieht, kann man sich vorstellen, dass sie eine angenehme Sopranstimme hat. Viele gute Sopranistinnen sind dick.

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