Das heißt dann ja, dass er, obwohl er fast nichts besitzt, drei Paar Schuhe hat: die Laufschuhe, die für den Anzug und die, die er sonst immer trägt. Hab ich schon mal erwähnt, dass mir Leute unheimlich sind, die überproportional viele Schuhe haben?
„Und warum gehst du zur Kirche schicker als zum Vorstellungsgespräch an der MBB?“
Er lacht immer noch. „Weil ich mich vorher nach dem Dresscode der MBB erkundigt habe. Ein Anzug wäre völlig übertrieben, wurde mir gesagt.“
„Und wer hat dir das da als Dresscode für die Kirche gesagt?“
„Das da?“, wiederholt er mich amüsiert. „Niemand. Ich will die Sachen einfach noch mal anziehen. In den letzten viereinhalb Jahren bin ich nicht zu Hochzeiten und anderen Festlichkeiten eingeladen worden. Da dachte ich–“
„Moment“, unterbreche ich. „Du hast die Sachen, seit du ins Land gekommen bist?“
„Ich habe sie schon viel länger. Demnächst werde ich mir einen neuen Anzug kaufen, dieser Schnitt ist ziemlich aus der Mode, das trägt man heutzutage nicht mehr.“ Er schnippt ans Revers. „Ich bin nur bisher nicht dazu gekommen. Entweder stimmte die Qualität nicht … oder der Preis.“
Sämtliche Frauen mit Töchtern im heiratsfähigen Alter werden von dir begeistert sein. Aber wie sehe ich neben dir aus?
„Na komm“, beruhigt mich mein Gedankenleser-Mitbewohner, „Jesus sagt, Äußerlichkeiten sind ihm nicht wichtig.“
Er betritt kein Neuland; er ist ja mit der Jesus-Pop-Band schon öfter in der Herformde Kerk zu Zuyderkerk gewesen, aber zu diesen musikalischen Anlässen hat er sich nicht derart in Schale geworfen.
Auf dem Weg zu meinen Altersgenossen und unseren angestammten Sitzplätzen hinten links (vorne links sitzen die Kinder und Jugendlichen, auf der rechten Seite die älteren Kirchgänger und dahinter die Familien – das ist aber nicht von irgendwem so vorgeschrieben, sondern hat sich im Laufe der Jahre ergeben) treffe ich Mommi und begrüße sie.
„Warte mal“, sagt sie und schiebt mich beiseite, „Ist das nicht der Miloš?“
Da geht es schon los mit den potenziellen Schwiegermüttern, bloß dass Mommi keine Tochter hat.
Er hat ihre Frage gehört und kommt auch her. „Guten Morgen, Amalia“, begrüßt er sie.(130)
„Schick siehst du aus. Und wie schön, dass du hier bist“, freut sie sich.
„Ich bin dann schon mal“, gebe ich murmelnd bekannt und verziehe mich.
Kaum dass ich sitze, lässt Lisanne sich neben mir nieder. „Na, wie geht’s?“, fragt sie.
„Gut, und selber?“
„Auch. Die letzte Nacht war ein bisschen kurz, aber … ich glaub, mein Schwein pfeift!“
Was könnte sie zu so unkirchlichen Äußerungen bringen? Es ist natürlich mein Kumpel, der in unsere Reihe getreten ist und sich an Lisannes freie Seite setzt.
„Wieso, was hast du denn gemacht?“, versuche ich trotzdem das Gespräch zu erhalten.
„Ich war in der–“
In diesem Augenblick betritt einer der Presbyter das Pult, von dem aus alle Redebeiträge außer der Predigt gehalten werden. Während das Stimmengewirr leiser wird und schließlich verstummt, begrüßt er die Gottesdienstbesucher mit einem Vers aus den Psalmen: „Denn so hoch die Himmel über der Erde sind, ist gewaltig seine Güte über denen, die ihn fürchten. Von den Himmeln ist heute früh nicht viel zu sehen gewesen, aber wir können sicher sein, dass sie da sind. Ich heiße Sie alle herzlich willkommen zum heutigen Sonntag, dem Tag des Herrn.“ Er sagt noch ein paar einleitende Worte, dann singen wir ein Lied, ein Gebet folgt und der Gottesdienst nimmt seinen Lauf. Aus den Augenwinkeln sehe ich, dass Lisanne immer wieder zu Miloš hinguckt.
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