„Wenn ich jedem Menschen böse wäre, der das denkt, hätte ich keine Zeit mehr für gute Gedanken. Es ist einfacher, das zu verzeihen, denn die Leute wissen es ja meistens nicht besser. Wenn es danach ein Gespräch gibt, kann man auch erklären, dass nicht alle Serben gleich über den Krieg gedacht haben.“
„Aha … und was redet ihr dann so, „auch über mich“?“
„Ach, weißt du“, weicht er grinsend aus, „sie ist sechs Jahre mit dir zusammen gewesen und heute bist du mein bester Freund … da fällt uns schon was ein.“
„Und was willst du mir damit sagen? Ist sie als nächstes deine Perle?“
Jetzt lacht er richtig. „Wenn das soweit kommt, erfährst du es als Erster, versprochen. Sie hat viel nachgedacht über eure gemeinsamen Jahre. Sie ist nicht sicher, was besser für dich war, mit ihr zusammen zu sein oder als ihr wieder solo wart. Aber ihr ging es besser, als ihr noch ein Paar wart.“
Wenn das Rückwärtsdenken ihre große Veränderung sein soll, weiß ich ziemlich genau, ob das gut oder schlecht ist. Was bringt es, über die Vergangenheit nachzudenken, außer vielleicht um Lehren daraus zu ziehen? Etwas anderes interessiert mich mehr: „Wieso triffst du dich eigentlich mit ihr?“
„Wir sind uns zufällig in der Stadt begegnet, und weil sie Zeit hatte, sind wir was trinken gegangen. Als wir uns das nächste Mal gesehen haben, haben wir uns dann fürs nächste Treffen verabredet.“
„Und seit wann?“
„Seit wir von der Insel zurück sind.“
Entgeistert frage ich: „Seitdem sind nicht einmal drei Wochen vergangen – wie oft seht ihr euch denn?“
„Ich bin in den letzten zwei Monaten mehrmals pro Woche zur Fahrschule nach Alkmaar gefahren. Die in Alkmaar hat nämlich auch Prüfungsbögen in anderen europäischen Sprachen, vielleicht erinnerst du dich, dass ich dir das gesagt hatte. Ich will ja sicher sein, dass ich verstehe, was ich lese“, erklärt er ausführlich. „Nach den ersten beiden zufälligen Treffen haben wir uns fast jedes Mal gesehen. Warum fragst du das?“
„Nur so“, weiche diesmal ich aus und denke, dass das alles ziemlich seltsam ist. Nach der tränenreichen Szene auf Dersummeroog hat sie sich noch nach dem „Typ mit den dunklen Haaren und den Tattoos“ erkundigt und ich habe mich zu der Aussage hinreißen lassen, dass er sich nur eine Freundin suchen würde, die serbisch kann. Vielleicht dauert es nicht mehr lange, bis ich als Erster erfahre, dass Miloš sich eine Freundin gesucht hat, die noch bis vor kurzem alle Serben für Kriegsverbrecher hielt? Hier ist alles möglich.
dreiundachtzigstes Kapitel
Am Sonntagmorgen offenbart mein Mitbewohner, was er außer den üblichen T-Shirts, Kapuzenpullovern und Jeans noch in seiner Tasche hat: einen schwarzen Anzug nebst Krawatte und weißem Hemd. Als er damit in der Küche aufkreuzt, fallen mir fast die Augen aus dem Kopf.
„Was hast du denn vor?!“
„Ich gehe in den Gottesdienst.“
So?!, will ich fragen, aber es ist tatsächlich der seltene Moment eingetreten, in dem mir die Worte im Hals stecken geblieben sind. Sprachlos widme ich mich weiter meinem Frühstück. Irgendwann fällt mir doch noch etwas ein: „Hast du auch passende Schuhe dazu?“
„Selbstverständlich. Sie stehen im Flur, ich habe sie eben geputzt.“
„War denn noch Schuhcreme da? Ich dachte, Cokko hätte die mitgenommen.“
„Ich habe selber welche.“
Gut, und jetzt mal zum Kern meiner Verwirrung: „Warum hast du solche Klamotten?“
Grinsend gibt er zurück: „Warum sollte ich keine haben?“
„Ähm, das ist nur ziemlich … ähm.“
Jetzt lacht er, schallend. „Du hast geglaubt, ich würde immer in den legeren Sachen herumlaufen, weil ich nur solche habe? Ganz sicher nicht. In einer Tasche ist nicht viel Platz, aber das heißt nicht, dass ich nur eine Sorte Klamotten habe.“
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