„Aha. Was passiert, wenn ich es nicht singe?“
„Nichts. Dann kannst du dich weiter ärgern.“
Allmählich klingt er wieder, als würde er noch leben.
„Hm“, mache ich. Das ist mal ein Anreiz … allerdings fürchte ich, dass mir auch die tollsten Verlockungen im kritischen Moment nicht helfen – vielleicht nicht einmal die Aussicht, nach Verklingen der letzten Note sofort in den Himmel entrückt zu werden.
„Aber der Ablauf war gut. Die Lieder passten alle schön hintereinander, auch mit der Fragerunde vor dem Höllenlied … das lassen wir so für Almere“, wendet Merle sich dem eigentlichen Grund unserer Zusammenkunft zu.
„Ja, auch mit dem Instrumentenquatsch vorher, das war eine echt gute Idee. Die Leute hatten nicht damit gerechnet.“
„Die Zugaben müssen wir aber anders gestalten. Keine drei Durchgänge mit insgesamt sechs Liedern, das ist viel zu viel. So viel Zeit haben wir nicht. Eine Zugabe, zwei Lieder. Mehr nicht.“
„Und was schwebt dir da vor? Der Reisesegen muss sein.“
„Muss er nicht. Wir könnten auch die Balkanhochzeit nehmen, die endet langsam und da geht’s doch auch drum, dass alle nach Hause gehen, oder?“
„Ja. In der elften Strophe verabschieden sie sich, in der zwölften saufen sie noch einen für den Weg und in der letzten verabreden sie sich zum nächsten Fest und gehen heim. Wenn wir das Lied nehmen, reicht eins. Das ist lang genug.“
„Gut. Haben wir noch Flyer und Plakate? Und wenn ja, wie viele?“
„Im Proberaum waren noch fünf Kartons von jedem, als ich gestern alles eingeladen hatte. Sofern niemand nach mir was weggenommen hat, müsste das noch eine Weile reichen.“
„Wir haben jetzt noch zweimal Dienstags und einmal Sonntags Probe. Wie viele neue Lieder haben wir denn noch nicht gespielt?“
„Willst du echt jetzt noch was neues anfangen? Wir haben gestern Musik gehabt für über zwei Stunden, das reicht doch! In Almere haben wir sogar nur eine Stunde auf der Bühne!“
„Was sollen wir denn überhaupt spielen?“
„Wir haben doch eben gesagt, dass wir die Reihenfolge so lassen?“
„Ja, aber gerade hast du selber gesagt, dass wir in Almere weniger Zeit haben, also müssen wir doch eine neue Reihenfolge festlegen, weil nicht mehr alle Lieder dran kommen können!“
„Und wie machen wir es dann?“
„Das können wir doch spontan–“
„Auf keinen Fall!!“
Als wir uns nach einigem Hin und Her trennen, haben sich folgende Personen mit ihrem Anliegen durchgesetzt: Lisanne, die kein neues Lied mehr ins Repertoire aufnehmen will, Miloš, der die Setliste minutiös festlegen will und Merle, die keinen weiteren Probetermin anberaumen will. Ich habe in allen Punkten verloren, aber mittlerweile ist es mir egal: wäre der Auftritt doch bloß endlich vorbei!
Ab morgen kann ich mein Hirn erst mal wieder mit gewohnten Dingen beschäftigen. Die Sommerferien sind um und das neue Schuljahr fängt an.
Auch für meinen Kumpel beginnt damit ein neuer Lebensabschnitt. Die Damen und Herren von der Elternpflegschaft haben nach einigen Stunden Beratung ohne und mit Miloš (verständlicherweise wollten sie wissen, mit wem sie es zu tun haben) seine zahlreichen kleinen Dienste zusammengerechnet und einen Aushilfsjob daraus geschaffen, bei dem er bis zu zwanzig Wochenstunden arbeiten darf. Er ist nun nicht bei der MBB angestellt, sondern beim MBB-Förderverein, was aber für ihn keinen Unterschied macht. Dieser Förderverein hat ihm auch das Geld für den Führerschein vorgestreckt, den er in der letzten Woche mit gutem Erfolg abschließen konnte.(126)
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