29. November 2015

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„Ohne Sex, stattdessen gesamtjugoslawische Verbrüderungen. Oh Mann“, ächzt er und hält sich den Kopf, „ich werde alt. Früher hab ich das besser weggesteckt.“
„Kaffee? Eis? Butterbrote? Spiegelei?“, bietet Merle mitfühlend an.
„Wasser“, gibt er eine anspruchslose Bestellung auf und sie reicht ihm ein Trinkglas und die hübsche Glaskaraffe.
Er ignoriert das Glas, setzt die Kanne an und säuft sie in einem Zug leer.
„Puh“, macht Merle. „Kann ich dir noch was Gutes tun?“
„Ja. Schalt die Sonne aus.“
Na, dann … „Bevor das Eis vergammelt, nehm ich es“, nutze ich die Gelegenheit, „und zwar von allen Sorten und mit Streuseln drauf.“
Lisanne hat eine Weile zugesehen, jetzt will sie wissen: „Mein letzter Stand war, dass du allen versprochen hattest zu erklären, wie man nicht in die Hölle kommt und du deswegen nicht mit uns zusammen zurück nach Zuyderkerk fahren wolltest. Aber hatte das solche Folgen? Ganz ehrlich, du siehst aus, als hättest du das mit der Hölle selber ausprobiert.“
Merle kommt wieder auf die Terrasse, aber ohne Eis, sondern mit einer Sonnenbrille, die sie Miloš gibt. „Du kannst sie behalten. Eric hat sie hier vergessen.“
„Wer ist Eric?“, will ich wissen, während die Gastgeberin erneut verschwindet.
„Ihr Ex.“ Miloš versteckt sich hinter den schwarzen Scheiben. Zu Lisanne sagt er: „Imre und Fatmire und ich sind zu ihnen nach Hause gefahren und alle ihre Freunde sind gekommen und wir haben die halbe Nacht gesoffen … Irgendwann vorhin bin ich wach geworden. Mein Handy ist weg, sonst hätte ich angerufen.“
Ich lege das vermisste Stück auf den Tisch. „Du hattest es im Transporter verloren.“
Jetzt serviert sie mir eine müslischalengroße Schüssel; vor lauter bunten Streuseln kann man kaum noch das Eis erkennen.
Begeistert nehme ich die Ladung entgegen. „Soll mal einer behaupten, nur ich würde immer übertreiben! Wo wir gerade dabei sind, wie viel hast du gestern abgenommen bei deinem wahnsinnigen Sportprogramm?“
„Drei Kilo, aber das war alles bloß Wasser.“
„Wenn wir einen Monat lang jeden Abend so einen Auftritt hätten, wärst du hinterher dünn wie ein Strich, oder?“
„Das mag sein, aber du wärst dann schon längst unter der Erde, deswegen probieren wir das gar nicht erst aus.“
Lisanne findet etwas anderes interessanter: „Wenn wir jeden Abend Konzert hätten, würdest du dein Lied dann auch mal singen?“
„Es ging nicht“, entschuldige ich mich. „Ich hab so schrecklich gezittert, ich konnte nicht mal aufstehen!“ Das Lied hätten alle aus meiner Band gerne gehört, auch wenn sie gar nicht wissen, was sie da erwartet. Das habe ich nämlich bisher nicht gesagt. Nur, dass ich auch noch etwas zu singen hätte. Alleine. „Vielleicht beim nächsten Mal.“
„Ich glaub dir kein Wort!“, grinst Merle. „Da sind mehr Leute, die Bühne ist viel größer und überhaupt! Und du willst mir erzählen, dass du dann dein Lied singst?“
„Die Wette gilt“, schließt Lisanne sich an.
Aus der Nummer komme ich nicht mehr raus. „Okay, was muss ich tun, wenn ich es nicht singe?“, ergebe ich mich.
„Das überlegen wir uns noch“, drohen mir die beiden lachend an.
Miloš meldet sich zu Wort. „Wenn du es singst, sanieren wir dein Schlagzeug. Wenn es sein muss, in grün-orange-kariert. Zerlegen, Farbe drauf, zusammenbauen, stimmen“, sagt er, denn er weiß, dass mir die pinkfarbene Spice-Girls-Wer­bung gewaltig auf die Nerven geht (und vor allem die andauernden Kommentare von Leuten, die das total witzig finden und glauben, ihre tollen Witze hätte noch niemand vor ihnen gesagt), der Leidensdruck allerdings noch nicht hoch genug ist, als dass ich mich in das Großprojekt der Umgestaltung stürzen würde.

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