Das Publikum ist dagegen. Es tobt.
Wir gucken uns ratlos an. Wie können wir das stoppen, was wir offenbar ausgelöst haben?
„Geh du raus“, sagt Lisanne zu mir. „Du bist der Chef.“ Die anderen nicken zustimmend. Achselzuckend tue ich, was meine Band verlangt.
Tosender Applaus empfängt mich, natürlich denken alle, dass es eine weitere Zugabe gibt. Ich nehme ein Mikro und warte ab, bis es still geworden ist. „Das war’s, Leute.“
Wieder geht das Geschrei los und wieder warte ich ab, bis alle zuhören. Ein bisschen komme ich mir vor wie in der Schule. „Ihr habt uns einen grandiosen Abend geschenkt, im Namen meiner Band danke ich euch sehr. Wir sehen uns beim Almere open air!“ Ich verbeuge mich vor unserem Publikum und gehe endgültig hinter die Bühnenwand.
achtzigstes Kapitel
Für Sonntagnachmittag hat Merle die Band zu sich nach Hause eingeladen.
Laut Plan wären wir abends im Proberaum gewesen, aber Lisanne hat dann keine Zeit und außerdem finden wir, dass wir uns eine kleine Pause redlich verdient haben.
Als ich auf Merles Terrasse ankomme, sitzt Lisanne bereits da und löffelt Eis.
„Na also jetzt werd ich ja“, schnaubt Merle anstelle einer Begrüßung, „mit dem Miloš stimmt was nicht, du bist schon das zweite Mal vor ihm da! Muss man sich Sorgen machen um den Kerl?“
„Vor allem wohnt ihr doch jetzt zusammen, wie kann das gehen?“, wundert Lisanne sich.
„Hallo Merle und hallo Lisanne, wie schön euch zu sehen“, hole ich die Begrüßung in demonstrativer Ausführlichkeit nach. „Macht euch doch lieber Sorgen um mich, weil ich auf einmal überall früher auftauche als Mister Pünktlich! Und ich habe keine Ahnung, wo er ist, ich hab ihn heute noch nicht gesehen.“
„Oh … ob er immer noch in Hoorn ist?“
„Wie soll ich das wissen? An sein Handy geht er nicht dran, aber vielleicht hast du ja mehr Glück als ich.“
Merle holt ihr Telefon und wählt. „Abgeschaltet“, teilt sie mit.
„Geht er vielleicht davon aus, dass wir uns im Proberaum treffen?“
„Ich fahr mal rüber“, biete ich an, weil ich auch wissen will, wo er steckt.
An der Türklinke des Proberaums hängt eine Tüte mit dem Aufdruck der Bäckerei, und drinnen liegt Miloš’ Handy und ein Pappdeckel für Kuchenteilchen, auf dem steht: „Hallo, das hab ich im Transporter gefunden, das gehört sicher einem von euch.“ Die Unterschrift ist unleserlich; Stevens ist es nicht.
Somit ist das erste Rätsel schon mal gelöst, nämlich warum er nicht ans Telefon geht. Leider macht das die Suche nach seinem Aufenthaltsort nicht einfacher.
Ich bin schon wieder in Merles Straße, als mich ein Taxi überholt und vor ihrer Haustür anhält. Wer steigt aus? Miloš! Er hat mich aber nicht gesehen, denn er verschwindet schon durch die kleine Gasse zwischen den Häusern in den Garten. Ungefähr eine Sekunde später treffe ich auch ein.
„Alter, wie siehst du denn aus?“, frage ich.(125) In so schlechter Verfassung hab ich ihn noch nie gesehen. Er ist kreidebleich, was durch den Bartschatten noch verstärkt wird und hat tiefe Augenringe. Seine Hände zittern und er bewegt sich wie ein alter Mann.
„Nicht so laut, wenn’s geht“, murmelt er. „Ich hab den tierischen Schädel.“
„Sex and Drugs and Rock’n’Roll, he?“ Fürsorglich klappe ich ihm einen Gartenstuhl auf und er sinkt hinein.
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