Wir rauschen durch das erste Lied und hängen das zweite gleich an, bevor Lisanne uns endlich vorstellt. Sie erklärt auch, dass unsere Zuhörer Versuchskaninchen sind, weil dies unser erster gemeinsamer Auftritt ist und wir einen anderen bei einem Festival gewonnen haben. Sie bedankt sich bei Trine Jessen, die uns ins Programm genommen hat, ohne je vorher von uns gehört zu haben.
Dann geht es weiter, alte und neue Lieder folgen, und nach einem ruhigen, haben wir verabredet, bin ich mit meinem Lied an der Reihe. Merle guckt erwartungsvoll zu mir hin, aber ich schüttele hastig den Kopf.
„Schade“, sagt sie leise.
Ich weiß, aber die Angst schnürt mir den Hals zu, meine Hände zittern – ich kann nicht!
Miloš erkennt die Situation und nutzt sie, um nach anwesenden Ex-Jugoslawen zu fragen. Ein Pärchen meldet sich und wird auf die Bühne eingeladen.
Das übrige Publikum erfährt, dass er Serbe und sie Bosnierin ist.
Unser bosnischer Serbe fragt, wo sie sich getroffen haben, in Serbien oder in Bosnien?
Der Mann lacht und sagt, dass es in Zaandam war. Unter Applaus und einem spontanen Schlagzeug-Akkordeon-Tusch verlassen sie das Scheinwerferlicht wieder.
Nach dieser kleinen Auflockerung stellt Miloš den Hörern das Höllenlied vor und erklärt, worum es dabei geht – worum es im Leben jedes Einzelnen gehen sollte. Wer Fragen dazu hat, solle nach dem Konzert zu ihm kommen, er werde sich für jeden Zeit nehmen.
Wir geben richtig Gas, das Lied ist klasse. Dann spielen wir ein englisches und schließlich bittet er um ein bisschen Geduld. „Das nächste Lied haben wir noch nie gemeinsam gespielt. Es ist ganz neu. Wir haben eine Art Konzept, wie wir ein Lied aufbauen, und versuchen es jetzt zu improvisieren. Wenn es zu schräg klingt, bitte ich drum, zum Almere open air zu kommen, dann klappt es sicher schon besser.“
Dieses Mal richten er und ich das Korsett gemeinsam auf – sehr praktisch, dass wir mittlerweile im Schlaf wissen, wie der andere „Musik denkt“. Dann wird es schwierig, denn Lisanne kennt die Melodie nicht, die hat nur Miloš. Merle jault zum Basslauf wilde Vokale ins Mikro, mein Kumpel fängt an zu singen und spätestens beim Refrain ist Lisanne mit dabei. Unsere Stegreifkomposition klingt erstaunlich gut, auch wenn sie mit allerhand Nervenkitzel verbunden ist. Wenn wir eingespielt sind, glaube ich, wird das so richtig klassischer Stadionrock. Immer vorausgesetzt, die Leute gehen mit. Aber warum sollten sie das nicht tun?
Merle titscht auf der Bühne herum wie ein Gummiball, dass ich mich frage, woher sie nur diese Kondition hat. Nebenbei bindet sie das Publikum in ihre Arbeit ein, lässt es singen und den Takt klatschen und teilt es auch mal in zwei Gruppen, die abwechselnd Geräusche machen sollen. Die Leute gehen bereitwillig mit. Einmal holt sie für ein Lied drei junge Frauen auf die ohnehin enge Bühne und weist sie an, auf ihr Zeichen Xylophon, Gießkanne und Schellenkranz zu bearbeiten. Die drei kommen ganz schön ins Schwitzen unter dem Scheinwerferlicht, denn Merle gibt ihnen oft Zeichen. Außerdem bringt Miloš den Zuhörern ein paar serbische Wörter bei, damit sie den Refrain zwischen den dreizehn Hochzeitsstrophen mitsingen können.
Irgendwann so gegen elf gehen wir von der Bühne, lassen das Publikum lautstark betteln und kommen zu unserer ersten Zugabe wieder. Nach drei Liedern wiederholt sich das Spiel. In der nächsten Runde geben wir nur noch zwei Lieder. Die letzte Zugabe enthält bloß Merles irischen Reisesegen. Ursprünglich wollten wir ihn langsam anfangen und dann in einigen Wiederholungen das Tempo steigern, aber Lisanne hielt das für keine gute Idee. Die Leute sollten doch merken, dass es zu Ende gehe mit dem Konzert!
Also spielen wir es nur einmal, sehr getragen, und verabschieden uns von der Bühne. Unser gesamtes Repertoire ist durch und wir sind es auch. Lisanne tun Hände, Arme und Schultern weh, ich bin völlig ausgelaugt, Merle hat keine Stimme mehr und Miloš nur noch drei Saiten auf dem Bass.
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