29. November 2015

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Ich bin noch beim Aufräumen, als mein Zorn schon verraucht ist. Meine Ausbrüche lassen sich in zwei Kategorien einteilen: die einen, die durch Emotionen und daraus resultierende Überforderung ausgelöst werden und nur schwer beherrschbar sind – und die anderen. Die sind mir wesentlich lieber.
In der Werkstatt mit Sofa steht Miloš an der Balkontür und schaut hinaus. Als er mich hört, dreht er sich zu mir um. So wie er aussieht, hat er die sprichwörtlichen Hosen randvoll.
„Tut mir leid, dass ich dich so angebrüllt habe“, gestehe ich.
„Ich wollte dir eine Freude machen“, sagt er zerknirscht.
Wir geben uns die Hand und gucken uns erleichtert an.
Weil es ein guter Zeitpunkt ist, stelle ich ein paar WG-Regeln auf. „Du kannst den Tisch decken und Kaffee machen und spülen. Du kannst aus dem Kühlschrank und aus dem Regal im Flur nehmen, worauf du Appetit hast. Und meine Kochbücher durchlesen. Aber an meinen Messerblock gehst du nicht dran.“
„Ja“, sagt er.
„Und wenn du willst, bring ich dir Kochen bei.“
Er nickt, „Das wäre toll. Es ist immer so lecker bei dir. Wenn meine Mutter etwas gekocht hat, schmeckt alles gleich. Ich glaube, deswegen kann ich das auch nicht.“
„Welches Gericht sollte das werden?“, frage ich und nicke zum wahllos zerkleinerten Gemüse hin.
„Eintopf. Ich dachte, das wäre leicht.“
„Ist es auch. Komm mit.“ Ich gehe voraus in die Küche. „Probier das“, ich gebe ihm ein Stück Möhre, „und probier das“, er erhält ein Stück Gurke. „Was fällt dir auf?“
„Möhre schmeckt nach Möhre und Gurke schmeckt nach Wasser.“
„Ungefähr. Möhre ist hart und Gurke ist weich. Hartes Gemüse muss länger kochen als weiches. Wenn alles zugleich gar sein soll, muss es also früher in den Topf.“ Ich sortiere das Gemüse und erkläre noch ein bisschen und bin heilfroh, dass er mir gar nicht böse ist.


neunundsiebzigstes Kapitel

Steven hat uns zusammen mit den seriösen und weniger seriösen Instrumenten nach Hoorn gebracht und hilft auch beim Aufbau auf der Bühne. Die ist klein, der Zuschauer­raum vielleicht dreimal größer, aber draußen stehen schon eine Menge Leute, also wird es voll. Familie, Freunde, einige Kollegen und viele andere wollen den Auftritt nicht verpassen.
Natürlich ist auch Eelco da und macht uns mit Trine Jessen bekannt. Sie ist die Organisatorin der „Kleinen Konzerte“.
Wir erfahren, dass sie erst nur als Geigenlehrerin angestellt war, aber irgendwann versucht hat, mehr als Musikunterricht mit den räumlichen Kapazitäten des alten Schulgebäudes anzu­fangen. Diese Arbeit macht sie nun seit drei Jahren, und inzwischen hat sich ein fester Stamm aus Besuchern gebildet, die sich jedes Mal aufs Neue überraschen lassen, was die Musikszene der Region so zu bieten hat.
Auf die Frage, wie lange uns die Bühne zur Verfügung stehe, lacht sie. „Das funktioniert hier wie in der Fußgängerzone. Wenn es den Leuten nicht gefällt, gehen sie. Ansonsten spielt ihr, bis euch nichts mehr einfällt. Um Mitternacht will ich aber nach Hause.“
Um zwanzig Uhr soll es losgehen, der Raum ist gesteckt voll mit neugierigen Leuten und wir versammeln uns hinter der Bühne. Merle verteilt die weniger seriösen Instrumente – die richtigen stehen schon auf der anderen Seite der Bühnenwand – und wir marschieren tutend, trötend und klappernd ins Scheinwerferlicht. Merle schwenkt außerdem den Staubsauger­schlauch, sodass ein heulender Wirbelsturm entsteht.
Wie abgesprochen geht der Kinderkrach weiter, während ich meine Hälfte des Donnerdrum­mel-Rhythmuskorsetts aufrichte. Miloš steigt ein, Lisanne beginnt das Gerüst zu füllen und Merle kann endlich den Schlauch weglegen, denn jetzt ist ihre Röhre gefragt.
Ein prüfender Blick ins Publikum sagt: damit hat keiner gerechnet, aber jetzt wollen die Leute wissen, was wir sonst noch drauf haben.

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