Es ist ja nicht mehr unser einziges serbisches Lied, aber es ist mein Lieblingslied. Ich weiß gar nicht, warum ich es so toll finde. Vielleicht liegt es daran, was es Miloš bedeutet hat, als er es vorgestellt hat. Früher hat er sprachlich gesehen in zwei Welten gelebt: einer serbischen und einer niederländischen. Es gab keine Überschneidungen. Ich glaube, bevor er das Niederländische so richtig begreifen konnte, musste er erst diese Trennung aufheben.
Als er mit den dreizehn Strophen fertig ist, sagt Miloš: „Ich werde mir einfach eine eigene Wohnung suchen. Dann ziehe ich aus und er kann mich mal.“
„Du suchst doch die ganze Zeit schon nach einer Wohnung. Warum dauert das eigentlich so lange?“, fällt mir dazu ein.
„Ich habe zu hohe Ansprüche und zu wenig Geld. Ich will eine große Wohnung, in die ich alle Freunde einladen kann. Mein Geld sagt, dass es nur ein kleines Loch sein kann. Ich will aber nicht in einem Loch wohnen. Deswegen habe ich noch nichts gefunden“, erklärt er. „Aber jetzt werde ich ein Loch nehmen. Ich muss ja nicht ewig da wohnen bleiben.“
siebenundsiebzigstes Kapitel
Heute ist Pieters zweiter Arbeitstag in Ijmuiden gewesen. Ich hoffe, es geht ihm gut! Vorhin habe ich versucht ihn anzurufen, er ging aber nicht dran.
Ich habe mal wieder den ganzen Tag in der Schule verbracht und neues Unterrichtsmaterial ausprobiert und altes aussortiert und mich mit Grietje und den anderen auf die kommenden Aufgaben vorbereitet und die neuen Unterrichtshelfer kennen gelernt, die uns ein Jahr lang unterstützen wollen. Jede Gruppe bekommt einen, sie haben ihre Gaben oder Wünsche erklärt, nun ist es an uns, sie unter uns aufzuteilen.
Auf dem Treppenabsatz vor meiner Wohnung schläft Miloš, den Kopf auf seine Sporttasche gebettet. Während ich die knarrenden Stufen erklimme, wacht er auf.
„Hoi. Bist du schon lange hier?“, frage ich und zwänge mich an ihm vorbei zur Tür.
„Ja. Seit Mittags.“ Er reibt sich das Gesicht. „Wo warst du die ganze Zeit?“
Ich schließe auf, „In der Schule.“
„Mist“, brummt er. „Da bin ich zweimal dran vorbei gefahren, aber bei euch waren alle Rollos unten, deswegen habe ich nicht geklingelt. Und Pieter anzurufen hilft ja nicht mehr.“ Steifbeinig steht er auf, nimmt seine Tasche und folgt mir nach drinnen.(119)
Ich räume meine Schulsachen weg und Miloš setzt in der Zwischenzeit Kaffeewasser auf. Wir decken den Tisch mit Brot, Butter, Käse und derweil will er wissen: „Kann ich bei dir wohnen?“
„Sicher.“ Wie könnte ich einen Freund vor die Tür setzen?
„Bis Cokko das nächste Mal zu Besuch kommt, habe ich längst eine Wohnung gefunden“, will er mich beruhigen.
Ich bin deswegen nicht in Unruhe. „Wann wirst du deine restlichen Sachen abholen?“
„Das ist alles.“
„Alle deine Sachen passen in eine Tasche rein?!“, frage ich entgeistert.
„Nein. Bass und Verstärker sind im Proberaum. Wenn man sauber faltet, passt viel in so eine Tasche.“
Ich fürchte, er weiß, wovon er spricht. Oft genug ist er irgendwo aufgebrochen, hat sein Hab und Gut mitgenommen und nicht gewusst, wann er zurück kommen wird.
Noch eine Frage kommt mir in den Sinn: Wenn alle seine Sachen in eine Tasche passen – was will er in seine Wohnung stellen?
Drittens: ich muss Mommis Staubsauger ausleihen, denn so kann er nicht auf dem Werkstattsofa schlafen. Zu oft habe ich vergessen, vor dem Sägen das alte Spannbetttuch darüber zu ziehen.
Das Telefonklingeln unterbricht meine Gedankenkette und weil es wahrscheinlich für mich ist, gehe ich ran. Pieter ist am anderen Ende der Leitung.
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