11. November 2015

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Ich habe ein schlechtes Gewissen, als ich am Dienstagabend zum Proberaum fahre. Während der Zeit auf Dersummeroog habe ich kaum an den Auftritt gedacht und gar nicht daran, ein neues Lied zu entwickeln oder ein paar Textstücke oder eine Melodie. Erst heute in Pieters Werkstatt ist es mir überhaupt wieder eingefallen, dass ich ja eine Hausaufgabe erteilt hatte. Hoffentlich sind die anderen kreativer gewesen.
Noch ist niemand da, ich gehe zu meinem „Arbeitsplatz“ und trommele mich warm.
Nach einer Weile geht die Tür auf und Miloš schleppt eine große Plastiktasche herein. Ihm folgt Merle mit einer weiteren Tasche ähnlicher Größe.
„Was habt ihr denn da mitgebracht?“, erkundige ich mich.
„Hast du Kaffee gekocht?“, ist für Merle wichtiger.
„Sorry. Vergessen.“
Sie schnalzt mit der Zunge und holt sich eine Flasche Wasser. Miloš setzt derweil Kaffee auf und geht dann, sich um Tassen kümmern.
Seit einiger Zeit dürfen wir die Spülmaschine aus der Personalküche der Bäckerei mitbenutzen, was meist so aussieht, dass wir unsere Tassen alle bis zur letzten benutzen und dann jemand ausgelost wird, der sie runter zu bringen hat. Na ja, und dann sind sie unten und keiner will sie wieder herauf holen.(112) Allerdings habe ich in meiner Bandgründer-Autorität beschlossen, dass wir keine Wegwerfbecher verwenden werden, und bisher hat niemand gewagt, etwas dagegen zu unternehmen. Manchmal frage ich mich, wie lange das gut geht; wie lange ich den Freunden meinen Willen noch aufdrücken kann.

Merle nimmt die Taschen an sich und beginnt die erste auszuräumen. Unter Miloš’ und meinen skeptischen Blicken sammeln sich
  • ein Staubsaugerschlauch,
  • diverse Kindertröten mit und ohne Rüssel,
  • Rasseln und Klappern und
  • ein Schellenkranz, der aus platt gehämmerten Kronkorken und einer Kinderfahrradfelge gebastelt ist.
In der anderen Tasche sind
  • drei Fahrradklingeln,
  • eine Vuvuzela in den Landesfarben,
  • eine Hupe mit Gummiball zum Drücken,
  • zwei Xylophone,
  • eine Mundharmonika,
  • eine Maultrommel,
  • eine verbeulte Zinkgießkanne und
  • fünf unterschiedlich große Kuhglocken.
Mitten in dieser farbenfrohen Präsentation geht die Tür auf und Lisanne kommt herein. „Hoi, was macht ihr denn da?“, fragt sie, was mich so langsam auch mal interessieren würde.
„Wir sichten neue Musikinstrumente“, erklärt Merle. „Du hast es neulich bei Jeremy auf dem Balkon gesagt, dass die Spielfreude das ist, was unsere Band ausmacht. Und dass wir auch Kinderlieder–“ Sie hält inne, weil Miloš die Gießkanne genommen hat und darauf klopft. Jetzt zieht er die Tülle ab und pustet hinein. Eine Wolke wie von Zementstaub steigt auf.
„Weißer Rauch!“, entfährt es mir begeistert, während Lisanne sich vor dem Staub in Sicherheit bringt, „Wir haben einen Papst!“ Ich nehme ihm das Blechding ab und umschließe die Kannenschnute mit der Faust. Dann blase ich hinein und der Proberaum wird von urwüchsigen Geräuschen erfüllt.
„Der Papst ist Australier!“, kalauert Miloš.
„Red einfach weiter“, sagt Lisanne zu Merle, „sonst werden wir nie fertig.“
Nachdem ich die Gießkanne zum Didgeridoo gemacht habe, versucht Miloš dasselbe mit der Vuvuzela, und im Duett klingen wir traumhaft.(113) Uns würden sicher noch mehr tolle Experimente einfallen, aber da höre ich, wie Merle sagt: „Wir sollten ein Feuerwerk abbrennen.“

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