Ob ich wohl zu hören bekomme, was Jesus und Miloš zu bereden haben?
Wenn Miloš das mit Jesus klar gemacht hat, sollte ich ihn mal vorsichtig darauf hinweisen, was Eelco mit seinen mehr oder weniger dezenten Bemerkungen zum Alkoholkonsum gemeint haben könnte. Damit hat Eelco ausnahmsweise Recht, denn mein Bassist trinkt wirklich viel Alkohol. Das kann nicht nur daran liegen, dass er aus Osteuropa kommt. (Kann sein, dass es nur ein Vorurteil ist, aber ich habe gehört, dass Osteuropäer viel trinken.)
Als ich den Strand wieder erreicht habe, lasse ich mich nieder. Ich weiß nicht, ob Miloš den Weg von hier zum Schiff alleine findet. Ich schaue dem Himmel zu, wie er langsam dunkler wird und lausche den Geräuschen meiner Umgebung. Ach, ich könnte stundenlang hier herumsitzen und der Welt beim Existieren zugucken!
Irgendwann trabt Miloš heran. Er ist offenbar lange gelaufen, denn er lässt sich wortlos neben mir in den Sand fallen, um zu Atem zu kommen.
Als das Schnaufen langsam aufhört, erkundige ich mich gespannt: „Und, wie sieht’s aus?“
Miloš zieht zwei kleine Flachmänner aus seiner Hosentasche. Es ist der Sanddornschnaps, den man in höchst unterschiedlicher Qualität an fast jeder Ecke kriegen kann. Während er sich erhebt, öffnet er beide Flaschen und hält mir eine hin. „Trink mit mir. Wir sind jetzt Brüder“, sagt er mit ungewöhnlich feierlicher Miene.
„Was?!“, mache ich, „Was sind wir?“
„Brüder“, wiederholt er gedehnt, als habe er es mit einem Schwachsinnigen zu tun, und der Ernst verschwindet aus seiner Miene wie Eis in der Frühlingssonne. „Jesus hat gesagt, Gott ist sein Vater. Gott ist dein Vater. Gott ist mein Vater. Also sind wir Brüder.“
„Wie krass!“, kann ich es kaum fassen.
Er hilft mir auf und drückt mir die zweite Flasche in die Hand. Dann guckt er mir ernst in die Augen, legt seine Rechte auf meine Schulter, sagt: „Auf dich, mein Bruder“ und leert die Flasche in einem Zug.
Ich versuche es genauso zu machen. Rechte Hand auf seine Schulter, ernster Blick, „auf dich, mein Bruder“. Meine Nase will mich noch warnen, aber das kommt zu spät. Ich habe kaum die ersten Tropfen des alkoholgesättigten Sanddornextrakts im Hals, als ich schon tierisch anfange zu husten.
„Entschuldigung“, murmelt Miloš zerknirscht.
„Geht schon“, krächze ich, als ich wieder dazu in der Lage bin. Hat er eigentlich eine Kehle aus Leder? „Woher hast du dieses Zeug?“
„Ich hatte es auf der Insel gekauft und jetzt war es auf dem Schiff. Deswegen habe ich so lange gebraucht.“
„Aber wir sind jetzt viel näher am Hafen als vorhin!“
„Ja. Aber ich habe mich auf dem Campingplatz verlaufen.“
„Aha. Wenn du das nächste Mal mit mir anstoßen willst, bring mir bitte ein Bier mit. Das vertrage ich besser.“ Ich wische mir die Hustentränen aus den Augen.
Miloš nimmt mir die Flasche ab und schraubt sie wieder zu. Dann schleudert er sie kraftvoll aufs zwei bis vier Meter tiefe Meer hinaus, und die leere hinterher. „Flaschenpost“, sagt er. „Es ist wirklich ein Scheißzeug.“
Wir hätten das Scheißzeug in einen Mülleimer entsorgen können, denke ich, aber auch dazu ist es jetzt zu spät.
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