„Und, wieso Bosnien eine serbische Republik haben kann“, schließt ihre Schwester sich an. „Das ist ja keine Provinz, sondern eine andere Nation. Das geht doch nicht beides zugleich, oder? Entweder es ist Bosnien oder Serbien.“
Mit dem Umweg über Cokkos und Ieuwkjes Hirne (Cokko nimmt den Hinweg, also vom Deutschen zum Niederländischen und Ieuwkje übersetzt in die Gegenrichtung) kommt folgende Unterhaltung zustande:
„In Bosnien haben nie nur Bosnier gewohnt, sondern immer auch Serben, Kroaten, Herzegowiner, Montenegriner und so weiter. Genauso war es in den anderen jugoslawischen Teilrepubliken, unterschiedlich stark. Es sollte ja ein Jugoslawien sein, deswegen sollten alle durcheinander wohnen. Ich bin in Bosnien geboren, weil aber meine Vorfahren Serben sind, bin ich ein bosnischer Serbe. Jetzt zur Frage, warum ich umgezogen bin. Neunzehn-zweiundneunzig wollten die Bosnier unabhängig von Jugoslawien sein. Meine Eltern hatten ein kleines Geschäft, aber nach Kriegsbeginn brach das ziemlich schnell zusammen. Dann musste mein Vater zum Militär und es wurde alles sehr schlimm.“
„Aber ihr Serben hattet den Krieg doch angefangen?“, wirft Helena ein und ich würde ihr dafür am liebsten auf den Fuß treten, aber sie sitzt zu weit weg. Kann sie sich nicht denken, wie er darauf reagieren wird? Die Serben haben einen schlechten Ruf in Europa, sie gelten als Kriegstreiber und Unheilstifter, aber glaubt sie denn wirklich, dass jeder Serbe so drauf ist?
„Irgendwelche Serben“, macht er grimmig. „Ich nicht. Ich wollte mein Abitur machen und studieren. Wir wollten den Krieg bestimmt nicht haben.“ Er mustert Helena finster, was umso finsterer wirkt, weil er bis gerade noch ziemlich freundlich geguckt hat.
Ieuwkje kommt nicht dazu, das für die Deutschen zu übersetzen, denn Pieter lenkt ab: „Und wie ging es weiter?“ Wahrscheinlich konnte man es auch ganz gut so verstehen.
„Über den verdammten Krieg kann sich jeder seine eigene Meinung bilden. Dazu ist genug geschrieben worden. Als er endlich vorbei war, habe ich eine Menge Geld verdient, damit meine Mutter zu einer Freundin in Zuyderkerk reisen und da bleiben konnte.“
„Und was machst du jetzt?“, will Sonja wissen.
„Ich arbeite in der Schule, in der auch Jeremy ist und übersetze für zwei Mädchen von Russisch zu Niederländisch. Ich hätte nie gedacht, dass ich mal mit meinem schlechten Russisch Geld verdienen könnte.“
„So schlecht kann es nicht sein, wenn du als Übersetzer arbeitest“, findet Cokko. „Immerhin machst du das schon zwei Monate.“
„Es ist nicht schlecht, weil ich wenige Worte weiß, sondern es hat sehr viele Schimpfwörter und schlechte Grammatik. Das haben die beiden Mädchen auch schon festgestellt. Ich habe nur zwei Jahre russisch in der Schule gelernt und dann alles von Leuten, die sich keine Mühe mit ihrer Sprache gegeben haben. Es ist gut, dass die Mädchen schon russisch können, denn von mir sollten sie besser keins lernen.“
Nun hat auch die andere Zwillingsschwester noch eine Frage. „Willst du eines Tages wieder zurück in deine alte Heimat umziehen? Jetzt ist es da ja alles wieder friedlich.“
Miloš zuckt die Schultern. „In Bosnien ist nichts mehr wie früher. Die Leute gucken nach dem Krieg mehr auf deine Nationalität als darauf, ob du ein guter Mensch bist.“ Er schickt noch einen finsteren Blick zu Helena. Aber dann sagt er, als wolle er sich diesmal selbst ablenken: „Außerdem sind meine Freunde hier.“
Später kommen Anno, Boje und einige andere Leute vorbei, essen die Reste auf und ziehen danach mit uns zur Strandfete ab. Die hat bereits vor einigen Stunden an der Wester Promenade begonnen. Zuerst vergessen wir deutsch zu reden, dann vergessen wir, dass wir deutsche Mädels dabei hatten.
Die Strandfete wird teilweise begangen, als würde morgen die Welt untergehen, so exzessiv wird da gefeiert, getanzt und getrunken. Ich halte mich ziemlich zurück, weil ich nicht schon wieder so einen Brummschädel riskieren will. Der Nachteil daran ist, dass die Party immer unerträglicher wird, je später (bzw. früher) es wird. Aber ich habe auch keine Lust, mich in die Pension zu verziehen und morgen der einzig Wache zu sein.
Ich beobachte, wie Boje mit einer mir unbekannten Frau in den Dünen verschwindet.
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