9. November 2015

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Als ich von meinem als Frühsport getarnten Asyl zurückkehre, ist das Frühstück schon in vollem Gange. Bevor ich aber irgendwas esse, gehe ich zu Tante O, um mir eine Kopfschmerz­tablette zu schnorren. Sie gibt sich ganz normal und scheint nichts davon mitbekommen zu haben, was mir letzte Nacht passiert ist. Immerhin etwas!
Die Blicke auf den Küchenfußboden gerichtet und die Ohren sperrangelweit offen, schiebe ich mich dann zwischen die anderen, um mir mein Frühstück zu holen und reichlich Wasser.
Die deutschen Mädels kichern ständig. Oh je. Ihr Doppelzimmer geht nach hinten raus. Haben sie mich etwa gesehen? Reden sie über das, was sie gehört haben, was letzte Nacht im Garten passiert ist? Ach du liebe Güte, ich werde mich den Rest der Woche nicht mehr hier blicken lassen können! Dann kommt auch noch Helena in die Küche.
Nein, ich bin nicht hier, beschließe ich. Lacht über mich, wenn ich nicht dabei bin. Heute werde ich im Wohnzimmer frühstücken. Mit dem Frühstück und einem Arm voller halb-, drittel- und viertelleerer Wasserflaschen trete ich die zweite Flucht des Tages an.
Meine Kumpels sind alle noch im Tiefschlaf und machen dabei ihre üblichen Geräusche. Miloš schnarcht laut und Pieter schmatzt alle paar Atemzüge. Cokko macht keine Geräusche, der schläft immer wie ein Stein.
Na klar, es ist gestern ziemlich spät geworden (bzw. früh). Während ich die erste Wasserfla­sche in Angriff nehme, denke ich weiter gehetzt vor mich hin.
Was könnte mich geweckt haben? Lachen? Husten? Blicke? Mist.
Wer könnte mich gesehen haben? Bis auf meine Kumpels: alle. Doppelt Mist.
Weil mich das Hin und Her nicht weiterbringen wird, überrede ich mich schließlich dazu, vom Idealfall auszugehen. Erstens: Gott hat mich geweckt, weil er gewusst hat, dass die deutschen Mädels oder Helena in fünf Minuten aufwachen und als erstes aus dem Fenster in den Garten gucken würden. Zweitens können mich nur Möwen und andere Vögel, Nachbars Katze und eben Gott gesehen haben.
Ja, wahrscheinlich ist es so gewesen. Kaum habe ich mich jedoch zu dieser Variante ent­schlossen, regt sich Widerstand in mir. Na klar, der Notfall war eindeutig, aber hätte er mich nicht etwas vorsichtiger wecken können? Mein armes Herz! Das kann nicht gesund sein. Du hättest mich doch auch die ganze Nacht im Wohnzimmer schlafen lassen können, mosere ich ihn an. Dann hätte ich mit etwas mehr Ruhe aufwachen können.
Na ja, sagt er mit all seiner himmlischen Logik, wie soll ich dir das dann mit dem freien Willen erklären, wenn ich dir vorschreibe, wo du zu schlafen hast?
Meinetwegen, gebe ich zu, aber du hättest verhindern können, dass ich mich ganz ausziehe.
Du spinnst, mein liebes Kind, sagt der Schöpfer des Universums lachend. Das machst du immer, du denkst gar nicht darüber nach. Wie hätte es ausgesehen, wenn du mit Klamotten in die Dusche gegangen wärst? Die deutschen Mädels hätten bestimmt über dich gelacht.
Aber dann hättest du sie mir, als die Mädels aufgewacht sind, anzaubern können. Du hast doch alle möglichen Tricks drauf! Was bringen coole Tricks, wenn man sie nicht anwendet?
Ich spare mir meine Tricks lieber für Situationen auf, in denen nichts anderes mehr funkti­oniert, weicht er aus. Ich will ein gutes Argument dagegen halten, aber ich komme nicht dazu. Lass uns weiter darüber reden, wenn du wieder klar im Kopf bist, würgt er das Gespräch ab.
Dieser Dialog zeigt mir mal wieder eine Sache ganz deutlich: Mit Erwachsenen kann man nicht diskutieren. Ich esse mein Frühstück auf und verziehe mich mit der ungefähr vierten Wasserflasche und einer Decke an den Strand, nachdem ich den Jungs einen Zettel hingelegt habe, wo sie mich finden.
Weil es noch früh am Tag ist, knallt die Sonne nicht so vom ordnungsgemäß wolkenlosen Himmel. Ich rolle mich im Windschatten hinter den Strandhuisjes in die Decke und bitte Gott, mich zu wecken, bevor ich zu viel Sonne abbekommen habe.(102) Dann schlafe ich ein.

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