9. November 2015

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„Und die ruft dich nun nicht ständig an, weil ohne dich das ganze Geschäft zusammenbrechen könnte?“, will ich wissen.
„Zumindest hat sie das bisher nicht getan. Ach, ich glaube, sie hat selber gerne frei. Und Feierabend. Wir verstehen uns ganz gut.“
„Jaja, mein Bruder und seine Wirkung auf Frauen“, murmele ich, damit die anderen beiden es nicht mitbekommen.
„Wir müssen gleich mal ein bisschen alleine quatschen“, murmelt er zurück.

Nachdem Pieter und Cokko sich im Wohnzimmer eingerichtet haben, nimmt mein Bruder mich mit nach draußen in den Garten und erklärt: „Ich will nicht mehr jedes zweite Wochenende nach Zuyderkerk fahren, weil ich nämlich deswegen auch nur jedes zweite Wochenende in Rotterdam bin. Aber da würde ich gerne mehr Kontakte finden und außerdem fängt ja bald das Semester an, da brauche ich ohnehin mehr Zeit fürs Studium und dann muss ich am Wochenende öfter arbeiten. Aber sei jetzt bitte nicht traurig, ja?“
„Bin ich nicht“, verspreche ich.
„Außerdem könntest du mich ja einmal im Monat oder so besuchen kommen. Rotterdam ist mit dem Zug gut zu erreichen, ich glaube, du müsstest nur einmal umsteigen.“
„Ich weiß, in Hoorn.“
„Na siehst du, das ist ganz einfach.“
„Ist da vielleicht eine neue Freundin bei dir im Spiel?“, fällt mir etwas ein.
„Das hätte ich dir sicher mitgeteilt, oder?“
„Hättest du“, stimme ich zu. Nach einem tiefen Seufzer füge ich hinzu: „Na ja, und weißt du … ich hab mich ja schon wieder an die Wohnung gewöhnt … also sie ohne dich zu bewohnen … das ist jetzt nicht mehr so schlimm. In den nächsten Wochen hab ich so viel mit den Bandproben zu tun, dass ich vermutlich nicht mal zu dir kommen kann … übrigens sind alle begeistert und Simone ist nicht mehr bei uns, aber das hat mit dem Auftritt nichts zu tun, sondern mit der Bandstruktur. Jedenfalls komm ich da ganz schnell auf andere Gedanken.“
„Das klingt gut. Ich hatte mir ein bisschen Sorgen gemacht, dass das so schlimm für dich ist, wenn ich gehe. Vor allem, weil ja jetzt auch Pieter wegzieht.“
„Miloš ist ja noch da.“
„Und das ist wirklich gut“, stimmt er zu. „Gut für dich und gut für ihn.“
„Warum für ihn?“, frage ich erstaunt nach, weil Cokko es seltsam betont hat.
„Und guck, wer da aus dem Haus kommt“, geht er nicht darauf ein und macht mich auf Pieter und Miloš aufmerksam. „Die zweite Hälfte von unserem Junggesellenkleeblatt.“
Mir scheint, als wolle er mir eine bestimmte Sache sagen oder besser: nicht sagen. Bei Gelegenheit werde ich da noch mal nachhaken.

Den Abend des letzten Julitages verbringen wir vier am Strand, wo wir uns rechtzeitig eine ruhige Mulde zwischen ein paar Dünen gesichert haben, bevor andere Leute auf sie aufmerksam werden konnten. Wir schwimmen, bis die Ebbe einsetzt, dann zündet Pieter ein Lagerfeuer an und wir grillen Stockbrot und (teils vegetarische) Würstchen und trinken dazu Bier.
Zum Nachtisch rösten wir ungefähr ein Kilo von dem bunten und klebrigen Mäusespeck-Zeug. Miloš hat die dicke Tüte von seiner Mutter geschenkt bekommen, als er ganz nebenbei erwähnte, dass er in Urlaub fährt. Sie lebt ziemlich ungesund und es ist sicher gut, wenn sie das nicht alles alleine isst. Sie ist schon sehr übergewichtig, was natürlich regelmäßig weitere Depressionen hervorruft.
Als es zu dämmern beginnt, kommt Pieter auf die Idee, Becks dringend eine Nachricht zukommen lassen zu müssen, was aber von unserem gemütlichen Platz aus nicht geht. Es hat irgendwas mit seinem Handy zu tun, die drei sind offensichtlich alle gut informiert. Keiner macht sich die Mühe, mir das Problem zu erklären. Das ist ein bisschen blöd, aber ich würde wohl sowieso nichts verstehen, deswegen frage ich nicht nach. Jetzt stehen sie auf.

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