9. November 2015

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Es ist perfektes Segelwetter.
Die Sonne strahlt vom Himmel, kleine Wölkchen durchziehen das Blau und ein lustiges Lüftchen weht uns rasch von Pieter und seinen Begehrlichkeiten fort.
Wir sind schon eine ganze Weile unterwegs, als Miloš sagt: „Segeln sieht ziemlich einfach aus. Bring es mir bei, ja?“
„Nein.“ Ich gebe das Ruder äußerst ungern aus der Hand. Helena wollte mich auch mal überreden und hat irgendwann mit dem Kommentar aufgegeben, ich könne es eben nicht ertragen, die Kontrolle zu verlieren. Ich finde aber, so einfach kann man es sich damit nicht machen, denn auf See kann eine Menge Unvorhergesehenes passieren.
„Bitte“, macht er, „Ich bin auch schon dabei, den Führerschein zu machen. Und ich tue nur das, was du sagst!“
„Ich wusste gar nicht, dass du dich in der Fahrschule angemeldet hast“, sage ich. „Aber zwischen Autofahren und Segeln liegen Welten. Das hat nichts miteinander zu tun.“
„Aber ich möchte es trotzdem lernen. Bitte!“
„So einfach, wie es aussieht, ist es nicht.“
„Was muss ich wissen?“, erkundigt er sich unerschrocken.
„Du musst Wetter beobachten können, Seekarten lesen und so weiter.“
„Ich werde das alles lernen. Darf ich jetzt segeln?“
Wie oft kommt es vor, dass Miloš einen um etwas anbettelt? Mir ist das noch nie passiert. Ich ergebe mich.
„Okay. Machen wir es wie in der Fahrschule. Erst kommt ein bisschen Theorie.“ Ich hole mein Logbuch, das sich in einer Kladde befindet. Auf die Vorderseite habe ich eine Klarsichthülle geklebt und in der steckt die Karte vom nordwestlichen IJsselmeer bis zum Afsluitdijk. Unten in der Kajüte habe ich noch weitere Karten, zum Beispiel des übrigen IJsselmeers, der angrenzenden Gewässer und der Wattensee, aber um die können wir uns dann beim nächsten Mal kümmern.
„Das ist eine Seekarte“, sage ich und gebe ihm das Buch.
„Es ist eine Landkarte“, sagt Miloš erstaunt.
„Nein, es ist eine Seekarte. Städte und Straßen und so Kram sind total unwichtig. Sie sind gar nicht eingezeichnet, wie du siehst. Wichtig sind Sandbänke, Wassertiefen, Fahrrinnen, die Standorte der Seezeichen und so weiter. Wenn du Landkarten lesen kannst, kannst du nach ein bisschen Übung auch mit Seekarten umgehen.“
Erleichtert arbeitet er sich voran: „Und wie geht Wetter beobachten?“
„Du guckst dir den Himmel an. Du stellst fest, von wo der Wind kommt. Dann erkennst du, welche Art Wolken am Horizont stehen. Und daraus ziehst du deine Schlüsse: Ist es sinnvoll, in See zu stechen? Gibt es Regen oder bleibt es trocken? Halte ich mich besser in Ufernähe auf? Flaut der Wind ab? Und so weiter. Das wird zwar alles auch im Wetterdienst erzählt, aber du kannst dich nicht darauf verlassen, dass die Wetterlage, die angesagt wird, auch genau über deinem Kopf stattfinden wird.“
„Gut. Was sagt dieser Himmel?“ Miloš zeigt nach backbord.
„Von wo kommt der Wind?“, stelle ich eine Gegenfrage.
Er zeigt hinter uns.
„Und wo fahren wir hin?“
„Nach vorne“, antwortet Miloš.
„Gut“, sage ich grinsend. Ein Anfang ist gemacht. „Was interessiert mich also das backbordseitige Wetter?“
Miloš nickt. „Das Wetter ist nur so schnell, wie der Wind es vorwärts treibt. Wir fahren auch ungefähr so schnell wie der Wind, also müssen wir das Wetter vor uns angucken, denn da wollen wir hin.“
„Richtig!“, schmettere ich begeistert. Es kann natürlich sein, dass die oberen Luftschichten langsamer sind als die unteren, der Wind dreht oder ich kreuze oder sonst irgendetwas passiert, aber diese Eventualitäten kommen nicht in der ersten Unterrichtsstunde vor. „Wie viele Himmelsrichtungen gibt es?“, arbeite ich mich weiter durch das vorhandene Wissen.
„Vier. Nord, Ost, Süd und West“, zählt mein neuer Schüler auf.

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