30. August 2015

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„Willst du damit sagen, dass es nicht so wichtig ist, sich zu entschuldigen?“, fragt Lisanne. „Das seh ich aber anders.“
„Nein, sondern, dass Jeremy besser einen anderen Gitarrist sucht, auch wenn Simone die Entschuldigung annimmt.“
„Aber woher sollen wir vor dem Auftritt noch einen neuen Gitarristen herbekommen?“, fragt Merle. „Der muss in kurzer Zeit alle Lieder lernen und musikalisch wie menschlich zu uns passen – das schränkt die Auswahl schon ziemlich ein.“
„Und Bühnenerfahrung sollte er haben“, fügt Miloš hinzu.
Nachdem ich einen Moment lang darüber nachgedacht habe, sage ich „Nein.“
„Willst du irgendeinen Anfänger nehmen? Das ist doch wohl nicht dein Ernst! Außerdem haben wir noch haufenweise andere Dinge zu tun, Lieder proben, Setliste festlegen, die Fahrt organisieren, und so weiter und so fort!“
„Nein“, wiederhole ich. „Nein heißt, dass ich keine Gitarre mehr in der Band haben will. Versteht mich so: Es gibt tausend Millionen Bands mit Gitarre, Bass, Schlagzeug, Sänger und diversen Zusatzinstrumenten. Womit sollten wir uns von denen unterscheiden? Also machen wir es anders. Das Zusatzinstrument nimmt den Platz der Gitarre ein. Das Problem, das wir gerade haben, ist nicht, dass wir keine Gitarre haben, sondern dass wir glauben, anständige Musik bräuchte eine.“
Darüber denken jetzt die anderen einen Moment lang nach.
Lisanne ist die erste, die fertig gedacht hat. „Das ist nicht der einzige Fehler. Wir müssen noch mehr ändern. Wartet mal kurz.“ Sie geht nach drinnen, kehrt mit dem Akkordeon zurück und spielt dann eine einfache Melodie aus sechs Tönen.
Dabei singt sie: „Auf der Wiese hinterm Haus grasen zwei Ziegen. Es sind Böcke und meist haben sie sich gern. Der eine ist weiß, der andre ist schwarz, und wenn der Klee sie zwickt, fallen sie übereinander her. Sie beißen sich, sie stoßen sich, sie rammen die Köpfe zusammen, dass es dir vom Zugucken weh tut. Die Ziegenböcke heißen … ach denk dir doch was aus! Der weiße meckert den ganzen Tag freundlich vor sich hin, der schwarze rennt den ganzen Tag um die Wiese und ist zufrieden, wenn man ihn lässt. Eigentlich sind es nette Burschen, doch wehe, der Klee zwickt sie, dann fallen sie übereinander her. Sie beißen sich, sie stoßen sich, sie rammen die Köpfe zusammen, dass es dir vom Zugucken weh tut. Die Ziegenböcke kommen aus … ach denk dir doch was aus!“
„Wieso habe ich das Gefühl, das Lied geht über uns?“, murmelt Miloš grinsend.
„Das ist ja ganz lustig, aber es reimt sich nicht und hat kein Versmaß“, bemerkt Merle.
„Ich weiß. Aber das ist völlig egal. Was unsere Band ausmacht, ist nicht, dass wir unsere Instrumente perfekt beherrschen oder dass wir wahnsinnig geistreiche Texte haben oder eine ausgefeilte Bühnenperformance. Nein, wir haben Spaß. Wir mögen uns. Es kracht schon mal, vor allem zwischen euch beiden“, sie nickt zu mir und Miloš hin, „aber die Chemie stimmt. Deswegen ist es nicht wichtig, ob die Texte sich reimen oder die Melodien anspruchsvoll sind oder wir das beste Equipment haben. Ich sag dir, wenn das Publikum von der Spielfreude ange­steckt wird, können wir sogar Kleinkinderlieder spielen und alle rasten aus.“

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