Meine bereits jetzt reichlich vorhandene Nervosität überspiele ich mit allerhand Albernheiten, zum Beispiel bringe ich Schreibzeug und Papier mit und verteile die Sachen, damit jeder Gelegenheit hat, neue Lieder zu erfinden, auch wenn mir klar ist, dass man nicht auf Befehl kreativ sein kann. Bisher sind wir ja nur eine reichlich frei interpretierende Coverband, aber so möchte ich nicht auf die Bühne.
Merle ist wenig begeistert. „Glaubst du, dass das meine Kreativität anregt?“
„Ist das etwa keine anregende Umgebung?“
„Willst du es ehrlich wissen?“ Sie lässt mir gar keine Zeit zu antworten, „Nein.“
Miloš legt das Schreibzeug auf die Fensterbank und nimmt sich stattdessen den Bass.
„Was hast du vor?“, frage ich.
„Wonach sieht es aus?“, gibt er die Frage zurück.
„Sind wir zum Streiten gekommen?“, kontere ich.
„Nein, zum Musikmachen. Und nicht zum Schreiben. Hör zu.“ Er spielt eine Melodie an, die ich von früher kenne, sie ist aus dem Repertoire der Jesus-Pop-Band. „Wenn wir einen flotten Rhythmus dazu machen und du schreibst was, haben wir ein neues Lied fertig.“
„Diesen Mist kannst du in einer andern Band spielen wollen, hier nicht“, lege ich rigoros fest. Auch wenn das vielleicht nicht so aussieht, finde ich das Theater sehr lustig. Mal sehen, wie lange ich das durchhalte. (96)
„Aber hör zu“, fängt er an, „wenn du es so schnell trommelst wie andere Lieder, klingt es gut und nicht wie–“
„Nein“, würge ich ihn ab, „Das tu ich nicht und niemand sonst in dieser Band wird das tun, Miloš Kusturica!“
Die Mädels verdrehen schon die Augen, immerhin waren sie gekommen, um Musik zu machen und nicht zuzuhören, wie sich zwei übers Musikmachen streiten. Er jedoch hat noch nicht aufgegeben. „Aber–“
„Kein aber! Diese Diskussion hatten wir neulich schon! Und ich habe dir deutlich gesagt, was ich davon halte!“
Das war nämlich so, dass er einen unserer Hardrockklassiker mit Reggae würzen und als neues Lied servieren wollte. Lange ist er der Meinung, dass ordentliche Musik mit fetten Gitarrenriffs geht und mit schnellem Schlagzeug und so weiter, aber man muss damit rechnen, dass ihm irgendwann eine Laus über die Leber hüpft und dann ist auf einmal alles anders.
Ich habe nichts gegen Reggae, man kann ja ruhig mal ein bisschen langsamer spielen und wenn alle meinen, dass ein anderer Rhythmus an der Reihe ist, na gut, an mir soll es nicht liegen. Aber wenn dieser Kerl auf einmal hergeht und mir Pop als Hardrock verkaufen will, nur wenn man den Weichspüler-Kram schneller spielt – nee, so dumm bin ich einfach nicht, dass ich das nicht merken würde! Ich dachte, unsere Zeit in der Pop-Fraktion wäre vorbei. Doch es hilft nicht, denn der Sturkopf ist längst nicht fertig mit dem Thema. Er setzt erneut an. „Wie wäre es, wenn wir es versuchen? Du sagst immer, wenn etwas nicht klappt, muss man es versuchen, und wenn ich etwas nicht will, sagst du, ich soll es trotzdem tun! Du sagst, dass man sich nur so musikalisch weiterentwickeln kann, deswegen tue ich das auch!“
„Schön, dass du meine Inhalte so gut behältst, aber hier geht es um etwas ganz anderes! Ich habe kein Interesse daran, mich in die Vergangenheit zurück zu entwickeln. Wenn dir das hier alles nicht passt, geh doch zu Eelco!“
„Geh doch zu Eelco!“, äfft er mich nach, „Was anderes fällt dir nicht ein, he? Was machst du, wenn ich wirklich gehe?“
Aus dem Augenwinkel sehe ich die Reaktionen. Merle findet alles sehr unterhaltsam, Simone ist entsetzt und Lisanne ist sich offenbar nicht sicher, was sie von unserem Krach halten soll. Und Miloš – ach, wenn er sich auf den Schlips getreten fühlen würde, wäre er ja längst nicht mehr so locker!
Leider stachelt mich das erst recht an. „Du gehst sowieso nicht, du bekloppter Serbe“, reize ich. „Außerdem wolltest du immer auf die Bühne, und jetzt haben wir die Chance, also stell dich nicht so an!“
„Wir haben die Chance nur, weil Cokko verrückt genug war, da anzurufen, obwohl er gar keine Band hat! Der traut sich wenigstens mal was, aber du!“
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