30. August 2015

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Inzwischen kann ich meinen Bruder besser sonntagabends zum Bahnhof bringen. Er hat jetzt zweimal das Wochenende bei mir verbracht und ich komme mir nicht mehr ganz so verlassen vor.
Nach einem wunderbaren Tag zusammen mit meinem Bruder und Pieter (92) kommt Miloš montags in der Mittagspause und holt mich ab, weil er weiß, dass ich heute nicht mit Pausenaufsicht dran bin.
„Wo willst du hin?“, erkundige ich mich bei ihm, während ich seiner Anweisung folgend mein Mittagsbrot einpacke.
„Es ist schönes Wetter und du fragst, wo ich hin will?“, gibt er die Frage grinsend zurück.

Für die Mittagspause eignet sich am besten der Jachthafen, er ist nicht weit weg und man kann in Ruhe Schiffe angucken. Allerdings: „Und was wolltest du wirklich hier?“, bohre ich nach. „Letzte Woche war auch schönes Wetter und du hast jedes Mal in der Schule gegessen.“
„Stimmt“, macht er, als habe er das ganz vergessen. Statt meine Neugierde zu befriedigen, lehnt er sich zurück und genießt die Sonnenstrahlen.
Weil das eine gute Idee ist, tue ich es ihm nach.

Nach ein paar Minuten sagt er beiläufig: „Ich hatte ein Gespräch mit Herrn Kolijn.“
„Aha“, mache ich. „Was wollte er?“ Wouter Kolijn ist gemeinsam mit Jenny Walraven die pädagogisch-betriebswirtschaftliche Doppelspitze unserer Schulleitung.
„Die Schule hat vielleicht noch mehr Jobs für mich.“
„Sag bloß?“
„Hilfe für Hausmeister“, zählt er an den Fingern auf, „Busfahrer für Rollstuhlkinder, Hilfe im Sportunterricht. Um Busfahrer zu werden, muss ich aber erst den Führerschein machen.“
Auf diesem Wege kann Miloš sich unverzichtbar für die MBB machen! Mann, Jesus, das hast du echt toll eingefädelt!
„Warum hast du eigentlich keinen?“, fällt mir ein, „Oder besser gefragt, warum bist du hier plötzlich Fußgänger, wenn du in Bosnien so viel durch die Weltgeschichte gefahren bist?“
„Wenn du innerhalb der EU bist, hast du viele Vorteile, aber von draußen ist fast alles schwierig. Meine bosnische Pappe ist hier nichts wert. Und bisher hatte ich kein Geld, um einen neuen zu machen.“
„Ach ja, Mist. Tschuldigung.“ Dabei fällt mir ein: „Hast du dich inzwischen mal mit Godfried getroffen?“
„Ja, haben wir, du weißt das nicht?“, fragt er erstaunt, „Ich dachte, Godfried und du, ihr seid Kollegen, ihr redet darüber?“
„Nein“, antworte ich nicht weniger erstaunt, „Warum sollte Godfried mir erzählen, welche Fortschritte seine Schüler machen? Stell dir mal vor, es gibt Dienstgeheimnisse unter uns. Ich werde ihn auch nicht nach eurer Zusammenarbeit fragen, denn wenn ich es wissen will, frage ich dich und nicht ihn.“
„Das erste Treffen war schon in der Woche, als du uns vermittelt hast.“
„Und was sind die ersten wichtigen Themen?“
„Schulwissen. Das wird auch noch eine Weile so bleiben, denke ich. Das Schöne an unserer Zusammenarbeit ist, dass Godfried sich auch sehr für mich interessiert. Er will keinen Schulun­terricht machen, sagt er, dass er redet und ich zuhöre, sondern er fragt viele Dinge zu Bosnien, wir finden Parallelen und Unterschiede. Hier, guck, das hat er gestern geschrieben.“ Er gibt mir ein Blatt mit acht Zeilen seltsamer Zeichen.
„Aha. Was ist das?“
„Die erste Strophe eines serbischen Gedichts.“
„Auf russisch?“
„Hör doch zu, was ich sage“, rügt er, „serbisch! Die Russen schreiben auch mit der kyrilli­schen Schrift, ebenso Mazedonier, Bulgaren und einige andere Völker.“

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