30. August 2015

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Vor der Bäckerei begegne ich Merle, die neugierig fragt: „Worum geht’s denn? Warum sollten wir herkommen?“
„Hältst du es noch ein paar Minuten aus, bis alle zuhören?“, wehre ich ab.
Im Proberaum klampft Miloš auf dem Bass herum; Lisanne wartet in der Sitzecke.
„Tag zusammen“, grüße ich, „hat einer Kaffee gekocht?“
Lisanne reicht mir eine volle Tasse und ich gebe Milch dazu. „Was war so dringend, dass du uns schon wieder sehen wolltest?“, will sie wissen.
Miloš hockt sich mit dem Bass auf dem Schoß auf die Sofalehne, ich bleibe stehen.
„Wir müssen uns einen neuen Namen ausdenken. Ich bin dagegen, dass die Band Pussycore heißt. Das Wort hat nichts mit Musik zu tun.“
Miloš grinst mich von unten an. „Das wusstest du nicht?“, fragt er.
Ich merke, wie mir das Blut in den Kopf schießt. „Nein, stell dir vor, das wusste ich nicht!“, fahre ich ihn an, weil es mir nicht passt, dass er mich als dumm hinstellt. „Zufälligerweise habe ich nicht ständig mit Leuten zu tun, die dauernd Pornos gucken oder was weiß ich für Filme, in denen solche Wörter vorkommen!“
„Jeremy“, unterbricht Lisanne, aber ich lasse mich nicht unterbrechen, ich bin noch nicht fertig mit ihm: „Und wo ich gerade dabei bin, womit muss ich rechnen, wenn ich Chef einer Band bin, in der du mitspielst? Wenn das so läuft, kannst du in Zukunft der Chef sein, dann siehst du mal, wie das ist!“
„Jeremy“, versucht Lisanne es wieder, diesmal mit mehr Nachdruck.
„Ja, verdammt, was willst du?“, fahre ich auch sie an.
Ruhig sagt sie: „Wir haben nicht drüber nachgedacht, welche Bedeutung das Wort hat und ob das zur Band passt. Ich wusste übrigens auch nicht, was es heißt, bis ich gestern Abend im Internet nachgeguckt habe. Setz dich bitte hin“, schiebt sie ein. „Außerdem tut es mir leid, dass die Abstimmung so doof gelaufen ist. Als ich zuhause war, hatte ich ein richtig schlechtes Gewissen dir gegenüber. Wir sollten ab jetzt alle wichtigen Dinge einstimmig beschließen, nicht bloß mit Mehrheit.“
Die anderen nicken.
Merle räuspert sich. „Du bist anscheinend eher so“, sie sucht nach dem richtigen Wort.
„Eher so was?“, unterbreche ich die entstehende Pause in ihrem Satz.
„Na ja, ich wollte sagen, so … ich meine … für mich ist das Wort völlig normal. Meine Freunde sagen das halt oft. Ich wollte damit auch nicht sagen, dass du Pornomucke machen würdest, das war ja bloß ironisch gemeint. Es tut mir leid, das wir gleich als erstes so ein Missverständnis haben.“
„Ist okay.“ Mir ist an einem Themenwechsel gelegen.
„Machen wir heute Musik oder reden wir nur?“, fragt Lisanne, als hätte sie meine Gedanken erkannt.
„Im Musikmachen sind wir jedenfalls besser“, brummt Miloš und kratzt mit dem Fingernagel über eine Saite.
Wie soll ich seinen Gesichtsausdruck deuten? Er guckt fast, als hätte er ein schlechtes Gewissen! Ich vertiefe das lieber nicht, sonst drohen womöglich weitere Gefühlsausbrüche.
Lisanne will wissen: „Hast du vor unserer Band schon woanders mitgemacht?“
„Ja, in insgesamt sechs Bands. Zuletzt in einer Irish-Folk-Gruppe, was tierischen Spaß gemacht hat, aber weil die alle aus Edam und Amsterdam waren und mein Auto kaputt ging, haben wir uns getrennt. Die Fahrerei mit dem Zug hat genervt. Deswegen wäre es voll geil, wenn es endlich mal eine Band an meinem Wohnort gibt, auch wenn ich wieder ein Auto habe.“
„Hast du früher viel geraucht?“, frage ich, denn jetzt riecht sie nicht danach.
„Nein, nie. Meine Stimme war schon immer so.“
„Was ist dein Lieblingslied? Sing es mal, vielleicht passt das auch zu uns.“
Merle grinst. „Wenn wir erst mal alle Missverständnisse durch haben, glaub ich, dass wir viel Spaß zusammen haben werden“, sagt sie, dann holt sie Luft und fängt an, gefühlvoll zu singen: „May your life in this world be a happy one, may the sun be warm and may the skies be blue. May each storm that comes you way, clear the air for a brighter day … may the saints and saviour watch over you.“

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