26. August 2015

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Schon beim Frühstück ist der Kleine nass geschwitzt und der Mutter tun von der niedrigen Stuhlfläche Hintern und Rücken weh.
Grietje bietet ihr an, das Projekt „Jannis kommt in die Schule“ am nächsten Tag weiter zu führen, weil es ja so für beide nicht angenehm ist.
Als Mutter und Sohn den Gruppenraum schließlich verlassen haben, verdreht sie die Augen und schnauft erleichtert aus.
Unsere neue Praktikantin Sandy hat das bemerkt und fragt mich leise: „Warum reagiert sie genervt? Wäre es nicht besser, mehr Rücksicht zu haben, wenn es für den Kleinen so schrecklich ist, ohne seine Mama zu sein?“
„In Prinzip hast du natürlich Recht, wenn es für den Kleinen so schrecklich ist, muss man Rücksicht haben und ihm den Einstieg in den Schulalltag leichter machen. Deswegen hat Grietje die beiden ja auch nach Hause geschickt. Aber du hast die drei Mädchen gesehen, die neu in die Gruppe gekommen sind. Fällt dir im Vergleich zu ihnen etwas auf, vor allem zwischen Jannis und Maureen?“
„Wer ist Maureen?“
„Sie hat sehr geweint, als ihre Mama ging“, helfe ich ihrem Namensgedächtnis auf.
Sandy sucht mit den Augen den Raum nach dem Kind ab und findet es in der Puppenecke, vertieft ins Spiel mit einem anderen Mädchen. „Oh … die fühlt sich anscheinend recht wohl. Vorhin hab ich gedacht, die weint den ganzen Vormittag.“
„Für die meisten Kinder ist es nicht so furchtbar schrecklich, hier ohne die Mama bleiben zu müssen. Es gibt genug Ablenkung, um den Trennungsschmerz bald zu vergessen. Nachher, wenn Maureens Mama wiederkommt, wird sie wieder ein paar Tränchen drücken, weil ihr einfällt, dass Mama weg war, aber morgen wird der Abschied schon leichter fallen. Wenn ein Kind derart klammert, liegt das oft daran, dass die Mama in den vergangenen Jahren nichts anderes gemacht hat. Sie hat dem Kind vermittelt, dass es ohne sie verloren ist, hat ihm nichts zugetraut und es mit dem eigenen Sicherheitsbedürfnis an sich gefesselt.“
Ein Junge kommt zu Sandy und möchte, dass sie ihm ein Buch vorliest. „Gleich“, verspricht sie und fragt: „Meinst du, Frau Hoyset hat ihr Kind so unselbstständig gemacht?“
„Danach sieht es aus. Dagegen Dionne und Isa – sie wirken gelassen und unabhängig“, weise ich sie auf die beiden anderen Neuzugänge hin. „Denen wird es vielleicht nicht mal auffallen, wenn die Mamas sich heute Mittag um eine Stunde verspäten.“
„Aber … warum erzieht man sein Kind zur Unselbstständigkeit? Das macht doch hinterher nur Arbeit!“, wundert sie sich.
„Dein Kind wird lange auf dich angewiesen sein. Wenn dich niemand auf der Welt braucht, bist du immerhin für dein Kind wichtig. Zumeist sind das aber Prozesse, die im Unterbewuss­ten ablaufen, es würde also nichts bringen, Frau Hoyset drauf anzusprechen. In einer Psycho­therapie könnte sie sich davon befreien.“
„Dafür muss sie den Kleinen aber erst mal für eine Stunde loswerden“, grinst Sandy.
„Genau. Pass jetzt auf, dass du nicht respektlos wirst“, mahne ich.
„Kapiert“, sagt sie und geht nun, das Buch vorzulesen.


zweiundsechzigstes Kapitel

Wer sich keine Ziele setzt, wird nie welche erreichen. Deswegen habe ich mir als realistisches Ziel gesetzt, bis zu den Sommerferien (inzwischen ist Mitte Mai) einen hauptamtlichen Sänger zu finden. Dafür verfasse ich einen papiernen Aufruf und hänge ihn mit Stevens Erlaubnis in alle seine Brotläden in der Umgebung. Jeder Mensch kauft gelegentlich oder öfter Brot und schaut sich beim Stehen in der Warteschlange im Laden um. Wo könnten solche Zettel besser platziert sein? Außerdem darf ich welche in Zuyderkerks größtem Supermarkt mit umfangreicher CD-Abteilung hinterlegen, in der Musikschule und in einem Freizeittreff mit Probe­raum. Bei dieser breiten Streuung sollte meine Suche bald Erfolg haben!

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