26. August 2015

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Nach dem Essen malen wir die Holzbuchstaben an und Cokko erzählt ein bisschen ausführlicher von seinen Erlebnissen. „Die WG würde dir vermutlich gefallen. Sie ist in einem uralten Haus und das Treppenhaus ist fast genauso wie hier. Nur drei Stockwerke höher. Die WG ist natürlich im fünften Stock, das wird lustig beim Umzug.“
„Wie uralt ist das Haus denn?“, frage ich erstaunt nach.
„Warum?“
„Na ja, uralte Häuser haben selten so viele Stockwerke, außerdem ist Rotterdam im Krieg fürchterlich zerstört worden, deswegen kann das Haus nicht so besonders uralt sein.“
„Ach, was weiß denn ich!“, winkt er ab. „Jedenfalls gibt es in der ganzen WG bloß einen einzigen Niederländer, die anderen kommen aus Deutschland, Polen, Marokko und Surinam. Alle sind an der Hogeschool, studieren aber unterschiedliche Fächer. Der Anko, das ist übri­gens der Niederländer“, schiebt er für mich ein, „freut sich jetzt, weil er dann nicht mehr allein sein wird. Ich weiß noch nicht genau, ob ich ihm sagen soll, dass ich nur ein halber Niederlän­der bin. Allerdings wären wir dann zumindest anderthalb. Vielleicht reicht ihm das ja.“
„Und wie viele Leute sind das insgesamt?“
„Sieben. Alice und Sven aus Deutschland“, zählt er auf, „Marek und Radek aus Polen, Anko, Kazeem aus Surinam und Iba aus Marokko. Na ja, und ab dem Sommer ich, dann sind wir acht.“
„Stell dich mal lieber drauf ein, dass im Sommer die Hälfte ausgezogen ist und die andere gerade irgendwo ein Auslandssemester macht. Studenten-WGs haben meist eine recht kurze Haltbarkeit.“
„Du redest schon wie Simone! Wusstest du übrigens, in Rotterdam kann man ganz prima Tiermedizin studieren. Die InHolland hat da einen Studiengang. Aber das kommt für sie nicht in Frage. Na ja, bald ist das durch, dann kann jeder wieder die eigene Suppe löffeln.“
„Warum machst du nicht jetzt schon Schluss?“, will ich wissen. „Besonders viel scheint dir nicht an der Beziehung zu liegen.“
Mein Bruder hebt die Schultern. „Manchmal nervt sie mich, aber es kann auch gemütlich mit ihr sein. Ich konnte mich bisher noch nicht aufraffen. Aber wenn es dir so wichtig ist!“
„Es ist mir nicht wichtig, dass du mit ihr Schluss machst, sondern mir ist wichtig, dass du … also, dass ihr“, verheddere ich mich immer mehr in meinem Anliegen und lasse meine Bemüh­ungen mit einem farblosen „Du weißt schon“ versanden.
Cokko schaut mir grinsend zu. „Willst du sagen, dass ich ihr keine unnötigen Hoffnungen machen soll?“
„Ja, ungefähr so was. Wenn ich mir vorstelle, Helena hätte mich damals so in der Luft hängen lassen!“
„Aber ich lasse sie nicht in der Luft hängen. Genauso könnte es sein, dass sie gleich anruft und mir mitteilt, dass sie einen total süßen Typen kennen gelernt hat und dass es mit uns des­wegen vorbei ist. Bei ihr sind ja immer alle total süß.“
Davon habe ich auch schon gehört.

Seit dem ersten April (86) sind einige Kinder vier geworden, die am Montag auf die Gruppen verteilt werden. Wir Driehoeken bekommen drei Mädchen und einen Jungen.
So unterschiedlich wir Menschen sind, so unterschiedlich ist auch unser Verhalten, wenn wir das erste Mal in fremder Umgebung sind.
Kinder sind da keine Ausnahme.
Zwei der Mädchen schicken ihre Mütter direkt weg, als wollten sie endlich ungestört sein, das dritte ist schüchterner und weint, als die Mutter geht. Und der Junge lässt nicht einmal zu, dass seine Mutter aufsteht. Sie muss den ganzen Vormittag neben ihm sitzen und Bücher vorlesen oder erklären, was die anderen Kinder tun. Zur Toilette kann sie nur gehen, wenn er mitkommen darf.

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