Zum Schluss gehen wir durch den Raum, in dem ihre Gruppe gerade über den Aufgaben sitzt. Die georgischen Mädchen fallen direkt auf, obwohl sie auch mit irgendetwas still beschäftigt sind. Ihre Kleidung ist unmodern und ihre Frisuren sind noch ungewöhnlicher. Djamila fordert ihn mit einem Kopfnicken auf, ein Beispiel seines Könnens zu zeigen.
Er geht hin, nimmt auf dem Weg einen freien Stuhl mit und setzt sich zu ihnen.
Erst mal passiert gar nichts, außer dass sie einander verstohlen mustern. Irgendwann fängt das größere Mädchen an zu kichern und flüstert der Schwester etwas zu. Miloš beugt sich zu ihnen hinüber und flüstert ebenfalls etwas.
Djamila und ich verstehen natürlich kein Wort, aber wir sehen, wie die beiden Kindergesichter nach der anfänglichen Überrumpelung zu strahlen beginnen. Sie scheinen ihn zu verstehen, das ist die Hauptsache.
Das größere Mädchen fragt ihn etwas, er antwortet, die Kleinere redet nun auch mit. Wahrscheinlich tauschen sie sich zu Namen und Herkunft aus. Die Unterhaltung wird immer lebhafter, bis sich die ersten Schüler beschweren, dass sie sich so nicht auf ihre Aufgaben konzentrieren können. Djamila geht schließlich hin. „Unterhaltet euch bitte morgen weiter. Ihr werdet euch ja ab jetzt öfter sehen. Wir haben noch was zu besprechen.“
Hurra, er hat den Job!
Wieder im Lehrerzimmer nimmt die Lehrerin aus einer Mappe einen Personalbogen und reicht ihn Miloš hin.
Er trägt seinen Namen und die Adresse ein. Dann passiert etwas Seltsames. Auf einmal guckt er auf die Uhr und sagt: „Entschuldigung, ich habe einen wichtigen Termin vergessen. Ich bringe den Bogen morgen ausgefüllt mit.“
Natürlich ist daran jetzt nichts, was als besonders seltsam gelten kann – außer, man kennt Miloš. Er ist Perfektionist! Er hat seine Termine im Griff! Und wenn es zeitlich knapp ist, plant er mit äußerster Präzision. Im Gegensatz zu mir trödelt er nämlich nie herum. (79)
Die beiden stehen auf, geben sich die Hand, mir haut er in seiner üblichen Art auf die Schulter, dann verschwindet er aus dem Raum.
Die Bereichsleiterin für romanische Sprachen schaut mich erstaunt an. „Das war aber ein schneller Abschied.“
„Ähm … stimmt.“
„Kommt so etwas öfter vor?“
„Ich erleb das gerade zum ersten Mal. Du kannst dich darauf verlassen, dass er morgen hier auf der Matte steht.“
„Das beruhigt mich.“ Sie lacht wieder. „Na ja, vielleicht ist ihm wirklich was Wichtiges durch die Lappen gegangen. Das kann ja jedem mal passieren.“
„Genau. Viel Glück mit den Mädels und eine gute Zusammenarbeit“, wünsche ich ihr und begebe mich wieder in meinen Wirkungsbereich.
Nach Schulschluss fahre ich direkt zu Mommi.
Weil Frühling ist und sie eine ordentliche niederländische Hausfrau, macht sie einen Frühjahrshausputz. Und weil sie meine Mommi ist (und ich ein fleißiger Enkel bin), helfe ich ihr natürlich.
Die Haustür ist wie immer nur zugeklinkt und ich gehe ins Wohnzimmer. Auf dem Tisch liegt ein Papier, das mir bekannt vorkommt. Ich gucke genauer hin und stelle fest, dass es ein Personalbogen aus der Schule ist – halb ausgefüllt von Miloš!
Ich gehe weiter bis in die Küche, die leer ist und zurück ins Wohnzimmer, wo gerade Mommi und Miloš mit Fensterputzzeug aus dem angrenzenden Schlafzimmer treten.
„Hallo Jeremy“, sagt Mommi freundlich. Miloš guckt mich nicht an, und ich frage ihn: „Warum putzt du bei meiner Oma die Fenster?“
„Stell dich nicht an, das klingt ja, als hättest du einen Skandal aufgedeckt“, lacht sie. „Er ist jetzt fertig damit, du kannst die Gardinen aufhängen, wenn du so wild aufs Arbeiten bist.“
„Kannst du mir mal erklären, was das eben sollte bei Djamila?“, frage ich ihn.
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