4. Juli 2015

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Moo…oo…ment mal. „Soll ich das so verstehen, dass ich einmal nicht zur Bandprobe kom­me und dann sofort rausgeflogen bin? Hast du sie noch alle?“ Letzte Woche hatte ich wirklich andere Sorgen als mich bei diesem Kindergarten abzumelden!
„Du bist nicht einmal nicht gekommen! Du kommst dauernd zu spät, du übst nur bei den Proben, du sagst nicht ab, wenn du nicht kommst. Die letzten zwei Mittwoche zum Beispiel hast du dich nicht hier blicken lassen. Wenn du was besseres als unsere Band zu tun hast, bitteschön, das kannst du jetzt weitermachen. Hier musst du nicht mehr hinkommen.“
Jetzt habe ich es kapiert. Diskussionen sind zwecklos. Monatelang hat er auf einen Anlass gewartet, mich rauswerfen zu können. Ich ziehe meine Jacke wieder an. Dann gehe ich hinter die Trommeln, sage dem Mädchen „Steh mal auf“ und als es das tut, nehme ich das Basspedal an mich und die Schlagzeugstöcke (übrigens nicht nur Cesars, sondern auch die übrigen drei Paar). Das sind die wesentlichen Bestandteile, sie gehören mir. Heute wird hier nicht getrom­melt. Mit einem neutralen „Tschüss, Leute“ verlasse ich die Scheune, in der die Stille wie eine klebrige Wolke Küchendunst hängt.
Kaum dass ich die Tür hinter mir zugezogen habe, fängt Lisanne an zu schimpfen: „Bist du noch zu retten?“
„Gib zu, es hat dich auch genervt, dass er so wenig Disziplin hatte!“
„Disziplin! Es geht doch gar nicht um Disziplin!! Wenn du dich weiter so kindisch anstellst, suche ich mir eine andere Band!“
„Ich fand es auch übertrieben“, meldet sich Maarten zu Wort, der sonst immer zu seinem Sandkastenfreund Eelco hält.
Das ist ihm offenbar ein Grund zum Einlenken. „Ja, meinetwegen war es übertrieben. Können wir jetzt trotzdem mit der Probe anfangen?“
„Was willst du proben? Du hast zwar eine Schlagzeugerin, aber kein funktionierendes Schlagzeug“, stellt Lisanne giftig fest. „Und ich hab heute keine Lust mehr.“
Es tut gut zu hören, dass die anderen zu mir stehen – auch wenn das ein schwacher Trost ist, da ich mich gerade um das einzige mir zur Verfügung stehende Schlagzeug gebracht habe. Ohne Trommeln helfen die wesentlichen Bestandteile nämlich auch nicht viel.
Ich habe das Pedal gerade unterm Gepäckträger festgeklemmt, als Eelco drinnen jemanden fragt: „Was wird das, wenn es fertig ist?“
Es gibt keine Antwort, als nächstes höre ich ihn schneidend kalt sagen: „Wenn du gehst, war’s das mit uns, ja, dann musst du nicht ankommen und wieder mitmachen wollen.“
Fast erkenne ich die Stimme nicht, sie klingt so fremd, aber es ist Miloš, der sagt: „Du kannst sicher sein: das war’s mit uns.“
Dann geht die Tür auf und er tritt heraus. Er trägt seinen Bass und das Verstärkerchen und sieht aus, als habe er mit dem Kapitel Popmusik abgeschlossen.

Wir beide fahren zurück in die Stadt. Kurz vor der Ecke, an der sich unsere Wege trennen, erkundige ich mich: „Zu mir oder zu dir?“
„Zu dir“, entscheidet er, „Meine Mutter ist krank.“
Ich habe ihn schon einige Male besucht und weiß, dass es ziemlich eng ist.
Die winzige Wohnung hat neben dem Bad zwei Zimmer, eins ist eine Kombination aus Küche und Wohnraum und fest im Besitz der Mutter. Überall auf den Möbeln und dem Fuß­boden liegen und stehen Sachen herum, schmutziges Geschirr, leere Essensverpackungen, Flaschen, Kleidungsstücke.
Das andere enthält einen kleinen Schrank und ein schmales Bett; kein Bild oder Poster hängt an den Wänden, keine Gardine am Fenster, nichts hält den Blick. Einzig über dem Fuß­ende des Bettes hat Miloš zwei Haken in die Wand gedreht, an denen er die Bassgitarre auf­hängt. Manchmal, hat er mir erzählt, legt er sich aufs Bett und guckt den Bass an und träumt von der ganz großen Karriere. Berühmt sein. Und endlich dieser vermurksten Sackgasse ent­kommen, die sein jetziges Leben ist.

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