Wenn die Mutter krank ist (was oft der Fall ist, sie hat Depressionen und sehnt sich nach ihrer Familie und der Heimat und manchmal auch ein bisschen nach Miloš’ Vater, der offenbar kein Menschenfreund ist und seit dem Krieg verschollen), belegt sie das Sofa und macht den Fernseher so laut, dass man sich in Miloš’ Zimmer kaum unterhalten kann. (49) Die Mutter schaut immer denselben Videofilm von früher an.
Ich glaube nicht, dass die Depressionen so besser werden, aber ich halte mich geschlossen, denn ich habe keine Ahnung davon, wie es ist, wenn einem ein Krieg die halbe Familie tötet und den Rest in alle Winde verstreut.
Kurzerhand ändere ich unser Ziel und lade ihn zu Mommi ein. Sie hat gerade einen Schokoladenkuchen aus dem Backofen geholt und freut sich, dass wir kommen und natürlich gerne verhindern, dass der Kuchen alt wird.
Als sie erfährt, was passiert ist, macht sie mir Mut, dass ich sicher bald eine neue Band finden werde, schließlich bin ich ein guter und sehr vielseitiger Schlagzeuger. Außerdem sagt sie, dass ich mich nicht länger über Eelco aufregen soll: Er ist eben so.
vierunddreißigstes Kapitel
Marjorie ist genau wie Mommi nicht glücklich über den Ausgang meines Gesprächs mit Gerrit. Allerdings sagt sie, als wir gut eine Woche später telefonieren, dass er es selber schuld ist. Wenn er ein kleines bisschen engagierter nach einem guten Zeitpunkt gesucht hätte, hätte er ganz sicher einen gefunden.
Sie hat aber nicht nur deswegen angerufen, sondern vor allem um mich zum Pizzaessen einzuladen. Das tut sie regelmäßig, denn sie backt gerne Pizza und lädt mich auch gerne ein.
Ich verbinde den Besuch in Alkmaar mit einem Ausflug nach Egmond aan Zee. Dort liegt einer der schönsten Strände meines schönen Landes.
Inzwischen ist Ende November und allen Klimawandel-Unkenrufen zum Trotz verhält sich das Wetter ausgesprochen normal. Es ist kalt und stürmt und wenn es nicht gerade regnet, kommen neue Wolken heran.
Auf dem breiten Strand ist nicht viel los, nur ein paar Spaziergänger sind unterwegs und weiter weg zwei Strandsegler.
Entlang der Hochwasserlinie hat das ablaufende Wasser eine Menge Strandgut hinterlassen. Jetzt schieben sich erneut dicke graue Wolken über den Himmel, was total krass aussieht, weil der Horizont zugleich in gleißendhelles, gelbes Licht getaucht ist.
Mächtige Wogen brechen sich auf dem Strand. Die Gischt ist weiß und schaumig, das Wasser ist vom aufgewirbelten Sand dunkelgrün bis braun.
Ich stehe da und gucke und gucke und kann mich nicht satt sehen.
Ich bin mir ziemlich sicher, dass mein himmlischer Papa einen guten Tag hatte, als er sich das Meer ausgedacht hat.
Hinterher hat er dann auch so dagestanden und sich den Wind um die Nase wehen lassen und die Wolken angeguckt (da fällt mir ein, dass es bestimmt ganz komisch gewesen ist, ganz ohne Möwen und Muschelschalen und Strandhafer und Sanddorn und das alles (50)) und hat sich gedacht: Das ist mir sehr gut gelungen.
Auf einmal erkenne ich einen völlig neuen Aspekt, warum er die Menschen geschaffen hat. Natürlich weiß ich, dass er ein Gegenüber haben wollte. Aber das meine ich hier nicht. Er hat die Menschen geschaffen, damit sie sehen, was er sieht, und damit sie sich dann abends treffen können und zusammen darüber reden, wie schön es ist und was sie am Meer erlebt haben.
Ja, so ist es bestimmt gewesen. Das ist ihm wirklich gut gelungen.
Leider bin ich nach ungefähr zwei Stunden völlig durchgefroren, sodass ich den geordneten Rückzug antrete. Ein Bus fährt von Egmonds Zeeboulevard direkt zum Bahnhof, wo ich umsteige in den Zug nach Alkmaar und dort habe ich vom Bahnhof nur noch drei Stationen mit dem Bus zu fahren, dann bin ich schon da.
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