4. Juli 2015

92

Ungefähr zehn Minuten später bin ich zurück. Cokko ist wohl gerade aufgestanden, denn ich höre die Dusche rauschen.
Ungewohnt nachdenklich kommt er kurz darauf in die Küche. „Morgen“, murmelt er.
„Ebenfalls. Was ist los mit dir?“, will ich wissen.
Er übergeht meine Frage. „Jeremy … was hältst du davon, wenn ich an deinem Urlaubsende nicht mit nach Zuyderkerk komme–“
„Oh, das werde ich natürlich ganz großartig finden!“
„Du könntest mich immerhin ausreden lassen“, rügt er. „Ich habe mir überlegt, dass ich dich nicht besuchen will, sondern hier bleiben.“
Mein Herz tut einen Sprung. „Für immer?“
„Das ist ein zu langer Zeitraum, um ihn eben mal so in einer Woche zu verplanen, meinst du nicht? Aber ich möchte schon eine lange Weile bei dir sein.“
„Das wäre total irre. Aber was sagt dein Pa dazu?“
„Der sagt noch gar nichts dazu, ich muss heute mit ihm sprechen. Er hat schon vor ein paar Wochen angedeutet, dass es mal an der Zeit wäre, dass ich mir eine eigene Wohnung suche. Allerdings glaube ich, er meinte damit nicht, dass ich das am anderen Ende der Welt tun soll.“
„Er kann ja mitkommen“, rege ich an.
„Und seine Eltern und Geschwister und die ganze Familie? Sollen die auch alle auswandern? Das ist Blödsinn, denk mal nach.“
„Hast Recht. Übrigens“, rette ich mich in ein anderes Thema, „ich könnte dir einen Schinken braten oder was du sonst so zum Frühstück haben willst. Ich bin der Aushilfskoch, solange die Chefin der Pension weg ist.“
Hoffentlich geht es der Chefin gut. Und ihrem Verehrer auch.
„Darf ich mir was aussuchen?“
„Das ist Sinn der Übung. Die Gäste des Hauses sollen sich wohl fühlen.“ Jeder Hotelier hätte seine helle Freude an mir.
„Dann hätte ich gerne Maple syrup pancakes.“
„Ach du liebe Zeit“, entfährt es mir. Bei Tante O hätte er sich das bestimmt nicht erlaubt. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass sie kein Ahornsirup im Haus hat, denn mein Bruder dürfte der erste kanadische Gast seit Bestehen der Pension sein.
Als ich das Schrankfach mit Mehl, Zucker und so weiter öffne, fällt mein Blick auf eine Flasche mit Holunderblütensirup. Ob er das merkt?

Natürlich merkt er, dass es kein Ahornsirup ist. Aber mein Bruder bedankt sich trotzdem für sein gutes Frühstück, danach bringe ich die Küche in Ordnung und wir überlegen, was wir anstellen könnten mit unserer Freiheit.
Weil Tante O gar nicht wieder kommt, fahren wir irgendwann zum Hafen und gucken Schiffe an, danach radeln wir an der Südküste der Insel entlang zurück und endlich ist es spät genug, um Douglas zum dritten Mal in Folge anzurufen. Weil Sonntag ist, müssen wir nicht bis Abends warten. Douglas hat gestern versprochen, seinen Morgen zuhause zu verbringen, damit er jederzeit erreichbar ist.


dreißigstes Kapitel

„Wärst du sehr böse, wenn ich … ähm, also, wenn du“, fängt mein Bruder an, während er den Computer anmacht. Ziemlich sichtbar sucht er nach den richtigen Worten.
Welches die richtigen sind, ist heute einfach. „Wenn ich dich mal zur Ausnahme mit deinem Pa allein lassen würde?“ Cokko nickt erleichtert und ich rede weiter: „Wäre ich nicht. Grüß ihn schön von mir.“

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