17. Juli 2015

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Im Lehrerzimmer ist es wie üblich recht ruhig, manche Kollegen sitzen da und essen, andere haben irgendwelchen Schreibkram zu tun oder unterhalten sich.
„Hallöchen“, grüße ich munter und werfe einen Blick durch den Raum. „Wo ist Djamila?“
„Nebenan“, gibt jemand Auskunft, ohne von der Lektüre aufzusehen.
Im Nachbarzimmer herrscht meist absolute Ruhe, hier kann man zum Beispiel Tests korrigieren. Das Zimmer ist dafür gut geeignet, denn es hat nur die Tür zum Lehrerzimmer, niemand geht einfach so hindurch.
Djamila sitzt am Computer und surft im Internet. Sie ist klein und zierlich, sodass sie manchmal für eine Schülerin gehalten wird, wenn jemand nicht genau hinschaut. Unter anderem bietet sie die Selbstverteidigungskurse für Mädchen an, daher sollte man sich nie von ihrer zarten Statur verleiten lassen und die süße Südfranzösin für wehrlos halten. Allerdings muss ich sagen, dass sie sehr viel Humor hat und die Gefahr nicht gegeben ist, dass sie einen Kerl direkt auf den Boden wirft.
Sie hat gehört, wie ich nach ihr gefragt habe, dreht ihren Stuhl zum Tisch um und bietet mir einen Stuhl neben ihrem an. Niemand sonst ist im Raum, daher können wir hier reden.
Kaum dass ich sitze, falle ich mit der Tür ins Haus: „Suchst du immer noch nach einem Übersetzer für deine russischen Mädchen?“
Verwundert fragt sie: „Woher weißt du das denn? Du hast doch gar nicht mit den großen Kindern zu tun?“ Sie dreht sich wieder zum Computer um, klickt das Internet aus und wendet sich zurück zum Tisch.
„Stimmt, aber Grietje hat es gehört und mir erzählt, weil ihr eingefallen ist, dass der Bassist meiner Band auch aus Osteuropa kommt.“
„Aha. Woher kommt er genau?“
„Aus Bosnien.“
„Was soll ich mit einem Bosnier? Die Mädchen kommen aus Georgien!“
„Und Miloš kann russisch.“
„Hat er es nur irgendwann mal in der Schule gelernt oder auch im Alltag genutzt?“
„Soweit ich weiß, hat er ein paar Jahre lang geschäftlich mit Russen zu tun gehabt, und wenn man sich die osteuropäische Geschichte der letzten fünfzig Jahre anguckt, ist ein russisch sprechender Bosnier wahrscheinlicher als bosnisch sprechende Russen.“ Ich wechsle die Tak­tik, um schneller zum Erfolg zu kommen. Der Ehrgeiz hat mich gepackt. Ich will, dass Miloš diesen Job kriegt! „Kann er vielleicht mal vorbei kommen?“ Je eher er sie selbst überzeugen kann, desto besser.
„Hm“, macht sie. „Spricht er denn gut niederländisch?“
„Er kennt nicht alle Wörter, aber man kann sich schon gut mit ihm unterhalten. Für den Anfang wäre er bestimmt eine Hilfe für euch.“
„Ich müsste mal mit der Schulleitung reden, was sie noch in ihrem Etat haben. Was sagt denn dein Freund dazu? Und hat er soviel Zeit?“
„Na ja, er sagt noch gar nichts dazu, weil ich es eben erst erfahren habe. Theoretisch müsste er aber genug Zeit haben; er ist im Moment arbeitslos.“
Noch einmal macht sie „Hm“, dann greift sie in die Tasche neben ihrem Stuhl und holt ihren Terminplaner heraus. Blätternd murmelt sie: „Morgen ist schlecht, übermorgen … Freitag geht auch nicht … Ach, sag ihm, er kann morgen oder übermorgen zwischen vierzehn und sechzehn Uhr vorbei kommen. Ich habe Schulaufgabenaufsicht, da kann ich die Kinder mal eine Weile alleine lassen.“
„Klar, mach ich“, verspreche ich.

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