17. Juli 2015

165

„Also, ich hab es aus Mommis Fotosammlung und was glaubst du, warum da drei gleiche Fotos drin sind? Das zweite ist für dich, das dritte für Douglas. Wenn ich dir ein unkopierbares Foto zeigen würde – das wäre doch gemein.“
„Stimmt“, sagt Cokko, „und da du nicht gemein bist, tust du so was nicht.“
„Eben.“ Einen Moment lang betrachte ich die Ringe unter seinen Augen und die ansonsten eher bleiche Gesichtsfarbe. Dann will ich von ihm wissen: „Hast du Hunger?“
„Ach, nicht besonders. Aber fang mal an, irgendwas zu kochen, dann kommt der Hunger schon, wie ich deine Kochkünste kenne. Oder hast du was anderes vor?“
„Wenn ich dich fragen würde, ob du was essen willst, und dann nichts kochen wollen würde, das wäre doch gemein“, fange ich grinsend eine dieser lustigen Endlosschleifen an.
Wie in dieser Dauergeschichte: Es war einmal ein Mann, der hatte sieben Söhne. Da sprachen die sieben Söhne zu ihm: Vater, erzähl uns eine Geschichte! Da fing der Vater an: Es war einmal ein Mann, der hatte sieben Söhne … und so weiter, da kann man dann stundenlang erzählen, gerade so, wie die eigene Ausdauer anhält – oder die der Zuhörer.
Cokko grinst jetzt auch. „Und da du nicht gemein bist, tust du so was nicht.“


sechsundfünfzigstes Kapitel

Als wir am Vormittag eine ruhige Minute haben, erzählt Grietje mir, was es Neues aus dem Kollegium gibt.
„Djamila hat zwei Schülerinnen aus einem dieser Ex-Sowjetstaaten bekommen. Es sind Schwestern, zwei Jahre auseinander, aber man hat sie vorerst mal beide in die sechste Gruppe gesteckt. Sie sprechen nur russisch und niemand kennt einen, der ihnen übersetzen kann. Als ich das gehört habe, ist mir eingefallen, dass du mal von deinem Bassist erzählt hast, dass der auch aus der Ecke kommt. Meinst du, der könnte für ein paar Monate helfen?“
Sie wartet keine Antwort ab (mir fällt sowieso nichts ein (76)) und redet gleich weiter: „Das geht natürlich nur, wenn er unsere Sprache einigermaßen fehlerfrei spricht, wir wollen ja nicht, dass es mehr Missverständnisse gibt als unbedingt nötig.“
Ich wackele mit den Schultern. „Ist sie heute hier?“, frage ich.
„Heute früh hab ich sie gesehen. Geh doch in der Pause mal zu ihr rauf“, schlägt sie vor.
Ich habe keine Ahnung, was Miloš zu diesem Job sagen wird, aber immerhin ist es eine Möglichkeit, an neue Kontakte zu kommen und außerdem kann er bestimmt ein paar Euro mehr gut gebrauchen – falls die Schule ein paar für ihn übrig hat.

Das Lehrerzimmer ist im hinteren der drei Schulgebäude und mein überwiegender Arbeits­platz befindet sich im vordersten. Ich könnte nun durch das Mittelhaus gehen, beim Bau sind alle Gebäude miteinander verbunden worden, damit Schüler und Lehrer beim Wechsel der Unterrichtsräume nicht nass werden oder durch die Kälte laufen müssen. Das habe ich heute nicht zu befürchten, denn der Mai zeigt sich von seiner schönsten Seite. Ich gehe über den Schulhof der Großen.
Wir haben nämlich zwei Schulhöfe; einer ist eingerahmt von den hufeisenförmig angeordneten Gebäuden und der andere versteckt sich zwischen Vorderhaus und einem seitlich angrenzendem Waldstückchen. Auf dem kleinen sind ein paar Spielgeräte und eine große Sandkiste, eigentlich sieht es aus wie auf einem normalen Spielplatz. Das ist der Schulhof für Kinder der ersten beiden Gruppen. Die älteren haben hier keinen Zutritt. Wagemutige Kinder der unteren Gruppen dürfen jedoch auf den Schulhof der Großen gehen, wenn sie möchten.
Auf der Treppe in den zweiten Stock begegnet mir Marijke Diekmans, eine Kollegin, mit der ich ein paar Worte wechsele. Sie bittet mich, im Laufe der Woche in ihren Bereich zu kommen, weil sie ein paar Laubsägearbeiten für den Bastelunterricht vorbereitet haben möchte.

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