17. Juli 2015

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Ich lege mich wieder zurecht und schließe die Augen. „Eine Woche, wieso fragst du?“
„Ich will ihn auch sehen, schließlich hat Cokko die letzten Wochen von fast nichts sonst geredet, wenn er mal was gesagt hat.“
So muss es sich für Pieter angehört haben, als mein Bruder Ende letzten Jahres hierher kam. Dieses verzückte Sehnen ist für einen selbst sehr schön, erfordert jedoch irgendwann eine Menge Geduld von den Mitmenschen. In Prinzip ist es wie das Stammeln der Verliebten. Aber na ja, es geht ja vorbei.
„Und warum kommst du hier so ganz zufällig entlang?“, erkundige ich mich. „Das liegt doch gar nicht auf deiner Route?“
„Ich kann meine Route ändern“, grinst er. „Ach, ich war laufen und da dachte ich, bei so schönes Wetter bist du bestimmt am Schiff.“
Jaja, Miloš und sein Sport. Ich finde das ganze Sportmachen ziemlich langweilig. Ich habe mal versucht, ihn zu begleiten, damit er nicht so alleine unterwegs sein muss, aber das war keine gute Idee. Ständig war er schneller als ich und musste auf mich warten und ist aus dem Laufrhythmus gekommen. Und nach ungefähr drei Kilometern mussten wir schon umkehren, weil ich total tot gewesen bin. Danach bin ich nicht wieder mitgekommen, wenn er zu seinem täglichen Viertelmarathon aufbricht.
Nebenbei überlege ich, wo Cokko und Douglas nur so lange bleiben, als sie ihre Fahrräder schiebend die Straße entlang kommen. Klar – Douglas ist nicht so geübt im Radfahren, deswegen schiebt er lieber.
Als die beiden an der Kaap Hoorn angelangt sind, wartet Miloš nicht ab, bis ich ihn vorgestellt habe und erledigt das selbst, um sich gleich darauf zu verabschieden.

Douglas' Innenleben hält trotz der vorsorglich eingenommenen Tablette nichts vom instabilen Aufenthaltsort, scheint so, dass das erblich ist. Deswegen belasse ich es bei einem kleinen Törn und erteile den beiden die Aufgabe, sich auszudenken, was wir stattdessen unternehmen könnten. Douglas wünscht sich, nach Wiederankunft bald nach Hause zu fahren, erstens hat er Hunger und zweitens möchte er gerne mal die Füße hochlegen, schließlich ist er der älteste von uns.
Zudem bereitet sich die Sonne ebenfalls darauf vor, nach Hause zu gehen (75) und was kann es Schöneres geben, als mitten in einen Sonnenuntergang hineinzusegeln?
Ich gebe der Bitte umgehend statt und bringe die Kaap Hoorn auf heimatlichen Kurs, während Douglas das Geschehen begeistert auf seiner Digitalkamera festhält.
Ich kann die Leute schon verstehen, die jeden Sonnenuntergang knipsen, den sie vor die Linse bekommen, ganz egal, wie viele tausend Fotos sie schon davon gemacht haben. Wenn ich eine Kamera hätte, würde ich auch sämtliche Sonnenuntergänge auf Dersummeroog knipsen und in den Kanälen und auf dem IJsselmeer und wo auch immer ich einen sehe.
Sonnenuntergangsfotos sehen immer ziemlich kitschig aus, weil es die Farbkombinationen in der Natur eigentlich gar nicht gibt. Wo hat man schon mal diese Mischung aus rot und gelb und all den anderen Farbtönen dazwischen gesehen, die Übergänge von blau, lila, pink und orange, und noch dazu in allen Schattierungen zwischen pastellfarben und knallbunt?
Aber man will den Augenblick festhalten, den Moment und seine Stimmung. Es ist fast, als wollte man den Tag am letzten Zipfel festhalten. Vermutlich will man, dass es nie Nacht wird und danach ein neuer Arbeitstag mit neuen Pflichten kommt.

Das Wochenende war toll. Wir haben es von früh (nicht das, was ein Frühaufsteher als „früh“ bezeichnen würde) bis spät mit einander und wechselnden Gästen verbracht und ich habe viel mit Douglas geredet. Dabei ging es zum Beispiel um Lucy und wie sie so gewesen ist, denn mittlerweile möchte ich sie besser kennen lernen. Weil mir dieser Gedanke reichlich spät kommt, muss ich mich an die Leute halten, die sie gut gekannt haben.
Natürlich könnte ich auch Cokko fragen, aber der hat sie ja vor allem als Mutter erlebt, und das hilft mir nicht so richtig weiter. Vom Biologischen her ist sie natürlich auch meine Mutter gewesen, aber ich werde sie nie als meine Mutter sehen können – das war einfach Mommi für mich. Jetzt möchte ich den Mensch Lucy McLachlan kennen lernen.

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