vierundfünfzigstes Kapitel
Zuyderkerk kann eine völlig normale Kleinstadt sein, wie es eine ganze Menge Städtchen rund ums IJsselmeer gibt. Dann ist es da nett und geht beschaulich zu, man kann zum Beispiel mitten auf einer Straße stehen und ein Schwätzchen mit Bekannten halten, ohne dass sich ein Autofahrer daran stören würde – weil nämlich keiner vorbei kommt.
Heute ist es nicht nett und beschaulich in meiner Heimatstadt. Anscheinend haben sich alle Autobesitzer verabredet, genau am heutigen Freitag die engen und holprigen Straßen zur fußgängerfreien Zone zu machen. Es ist ein irrer Stress und Douglas hat nicht viel vom versprochenen Sightseeing, weil man sich kaum in Ruhe unterhalten kann, und eigentlich ist es unverantwortlich, einen Radfahr-Unerfahrenen durch so ein Gewühl zu scheuchen.
Irgendwann beugen Cokko und ich uns der höheren Gewalt und fahren zum Hafen. Dort wird es etwas ruhiger sein; Autos müssen nämlich drumherum fahren. Wir werden ja vermutlich an Land bleiben, denn ich denke nicht, dass Douglas was ohne Cokko unternehmen will, aber der Hafen gehört zum touristischen Pflichtprogramm.
Etwas ruhiger ist eine zutreffende Bezeichnung, denn ein großes Plattbodenschiff hat vor kurzer Zeit am Steg A festgemacht und seine Passagiere strömen in die Gassen der Altstadt.
„De Zwarte Ruiter“, liest Douglas die Aufschrift auf dem braunen Segel und geht zwei mit Kapitänsmützen ausgestatteten Touristen aus dem Weg, die das Schiff gerade verlassen.
Die Tjalk ist ein imposanter Anblick. Es gibt unter den alten Binnenseglern Tjalken, die nur funktional hergerichtet sind und nicht unbedingt authentisch. Doch den Besitzern dieses Schiffes ist die Schönheit des Originalzustandes offenbar sehr wichtig gewesen.
Nun kommt ein langbeiniger grau-schwarz-gefleckter Hund von Deck geschlendert und schnüffelt überall auf dem Steg herum. Weil die Passagiere schon lange weg sind, muss er zur Besatzung gehören. Dafür spricht auch die Gelassenheit, mit der er seine Entdeckungen tätigt. Es hat den Anschein, als sei dies der ungefähr hunderttausendste Steg, den er unter seine vier Pfoten nimmt, und er tut es mit einer Art königlicher Souveränität. Eigentlich gehört ihm nämlich der ganze Hafen.
Schließlich pinkelt er an einen Poller.
„Ist das eine Art Linienbus, nur auf dem Wasser?“, erkundigt er sich bei seinem Sohn.
Cokko hat noch nie was von schwimmenden Linienbussen gehört und gibt die Frage an mich weiter.
„Ich kenne nur einen schwimmenden Bus, und das war Kolumbus“, kalauere ich und antworte dann: „Es gibt natürlich Linienverkehr auf dem Wasser, aber dazu werden Motorschiffe verwendet, die sind schneller. Solche alten Segelschiffe nimmt man für Ausfahrten, entweder Tagestouren oder auch mit Übernachtungen. Cokko kann dir sicher hundert und eine Information dazu im Internet raussuchen.“
„Aha“, macht der, „Und wie find ich die Adresse? Wenn ich Segelschiff eingebe, werde ich bestimmt zugeschüttet mit hundert und einer Info, die ich gar nicht haben will.“
„Dann sei eben ein bisschen fantasievoller“, gebe ich zurück. „Wieso muss ausgerechnet ich dir sagen, wie du im Internet etwas herausfinden kannst? Du bist doch hier der große Experte. Zum Beispiel könntest du den Namen des Schiffes und seinen Schiffstyp eingeben.“
„Und woher weiß ich, um welchen Schiffstyp es sich handelt? Das steht ja nicht vorne am Kühlergrill dran.“
„Du könntest deinen schlauen Bruder fragen, der weiß es bestimmt“, regt Douglas an.
„Dann könnte er sich auch gleich um die ganze Recherche kümmern“, wählt Cokko den bequemen Weg.
Douglas lacht darüber und wendet sich an mich: „Wo ist denn dein Schiff?“
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