17. Juli 2015

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Weil die Werkstatt mit Tisch und Laubsäge und einem dritten Bett egal welcher Form wirklich nicht mehr begehbar gewesen wäre, habe ich mich für die Zeit, die Douglas bei uns ist, bei Mommi einquartiert. Cokko hat das zwar übertrieben gefunden und gesagt, dass sein Pa nicht einverstanden sein werde, aber ich habe mich nicht überreden lassen. Ich habe angedeutet, dass er und sein Pa sicher ein paar Stunden ohne mich zurecht kommen werden, vielleicht hätten sie sich ja ein oder zwei Dinge zu erzählen, die mich nichts angehen.

Morgen habe ich noch einmal Arbeiten vor mir, bevor auch für mich das Wochenende beginnt, aber ich denke, dass trotzdem noch ein bisschen Gelegenheit ist, um mit Mommi zu quatschen, sofern sie noch nicht ins Bett gehen will.
Sie denkt offenbar gar nicht daran. „Und, wie ist er?“, empfängt sie mich schon an der Tür.
„Wunderbar“, sage ich und betrete die Wohnung. In der Küche mache ich mir einen verdauungsanregenden Tee, weil mir die Pfannkuchen wie Steine im Magen liegen. Hoffentlich haben Pieter und Becks mehr Spaß daran.
Dann erst setze ich mich zu Mommi ins Wohnzimmer und lasse mich ein bisschen genauer zu meiner ersten Begegnung mit Douglas aus. „Und er sagt, dass ich aussehe wie Lucy. Stimmt das eigentlich? Ich kann mir das gar nicht vorstellen, ich bin ja keine Frau.“
Mommi hebt die Schultern. „Schon möglich, dass ihr euch ähnelt, ich kann das nicht gut sagen. Ich habe sie sehr lange nicht gesehen. Douglas hat sie geliebt und sie ist erst vor relativ kurzer Zeit von ihm gegangen, da schaut man auf andere Dinge.“ Sie holt ein paar Fotoalben aus dem Regal im Schlafzimmer. „Komm, wir gucken mal nach.“
Wir wollen ja eigentlich nur ein paar alte Aufnahmen von Lucy angucken, aber wie es so geht, kommen wir ins Erzählen und Zuhören und von einem Thema zum nächsten. Daher ist es schließlich ziemlich spät, als mir erstmals meine werdenden Eltern in die Finger geraten. (74)
Gerrit ist ungefähr 17 und macht Faxen. Frühreif hin oder her, er hat früher auf allen Fotos Grimassen gemacht, außer, man hat ihn in einem unerwarteten Moment geknipst.
Lucy ist demnach ungefähr 20 und mir entfährt ein verblüfftes „Oh.“ Würde diese junge Frau auf dem Foto heute 20 sein, könnte man sie für meine Schwester halten! Ihr Gesicht ist genau wie meins hager und gebräunt und mittendrin sitzt eine gerade Nase. Ihre Haare sind lang (gold-dunkel-honig-blond, fällt mir dazu nur ein) und wehen ihr mit der leichten Naturwelle um den Kopf und die schmalen Schultern. Es ist mein Gesicht in weiblich, alles ist ein bisschen kleiner und weicher und nicht so eckig wie bei mir.
Das Buntfoto ist an einer Wasserfläche aufgenommen worden. Lucy blinzelt gegen das spiegelnde Licht. Ich hole aus der Enkelgalerie von Mommis Nachttisch das Foto von mir. Es ist vom vergangenen Sommer, ich habe noch lange Haare. Ich halte sogar den Kopf so schief wie sie.
„Donnerwetter“, sagt Mommi und erinnert sich genau, „Das war ein halbes Jahr vor deiner Geburt. Ich erinnere mich dunkel, damals war unsere Welt noch in Ordnung. Unmittelbar danach hat Gerrit uns darüber aufgeklärt, dass wir Großeltern werden. Da war aber was los.“
„Kann ich das Foto haben?“, frage ich.
„Sicher, mein Junge.“ Sie streichelt mir über die Wange. „Und jetzt ist es bestimmt besser, wenn du schlafen gehst. Morgen musst du früh raus und guck, wie spät es schon ist.“

In der Mittagspause gehe ich mit dem Bild zum nächstbesten Fotogeschäft. Lang und breit und ebenso geduldig erkläre ich den beiden jungen Typen, dass ich das Bild vergrößert haben möchte, aber nur die eine Hälfte, nämlich die mit der Frau. Sie erklären mir im Gegenzug, dass es günstiger für mich wäre, wenn ich das Negativ auftreiben könnte. Ich versichere ihnen, dass ich das Negativ ganz bestimmt nicht mehr auftreiben kann. Sie informieren, dass das Aufnahmeverfahren „Foto vom Foto“ zu Lasten der Bildqualität gehen wird. Schließlich schaffen wir es aber, uns auf das Bildformat zu einigen und ich erfahre, dass sie mich anrufen werden, wenn das Foto fertig ist, denn sie wissen nicht, wie lange das Ganze dauern wird.

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