17. Juli 2015

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Es ist kein gutes Segelwetter, weil der Wind in unregelmäßigen Böen der (geschätzten) Stärke drei bis vier aus allen Richtungen zwischen Nord und West daher gepfiffen kommt, aber das ist genau richtig für mich. Allein auf der weiten See kreuze ich hin und her und lasse die Kaap Hoorn vom Wind treiben und fahre Schlangenlinien, ganz egal, Hauptsache, der Wind pustet mich kräftig durch. Es ist großartig!
Ich könnte schreien!
Nein, ich könnte nicht nur. Wenn ich nicht will, dass mir als nächstes die Lungen zerplatzen, muss ich es tun. Ich nehme die Kaap Hoorn aus dem Wind, damit sie nicht kentert und warne Miloš mit einem restlichen Zipfel Selbstkontrolle vor, dass ich mich mal kurz ausklinken muss.
Ich springe auf dem Deck umher und schreie meinen Frühlingsschrei, genau wie Ronja Räubertorte und Birk Borkasohn es getan haben, als der lange Winter auf der Matthisburg vorbei war und sie wieder in der Bärenhöhle eingezogen waren. Ich schreie und schreie und kann nicht genug Luft holen, um sie sofort wieder hinaus zu lassen.
Frühling, ich hab dich so vermisst! Du fühlst dich wunderbar an! Ich liebe dich!!

Irgendwann habe ich mich aber tatsächlich genug gefreut (vorerst) und setze mich ziemlich atemlos zu Miloš.
Er schaut mich an und grinst übers ganze Gesicht. Allerdings er sieht nicht aus, als würde er mich auslachen. Trotzdem frage ich ihn, warum er so guckt.
„Ich habe gelernt“, ist alles, was ich aus ihm herauskriegen kann.
„Worüber hast du was gelernt?“, will ich wissen, aber er sagt nichts weiter. Schließlich, als mein Nachfragen gar nicht nachlässt, bequemt er sich zu einer ausweichenden Antwort: „Wenn ich niederländische Worte hätte, ich würde dir nicht sagen.“
Das ist gemein.
Aber es kann mir nicht die Laune versauen! Hurra, der Frühling ist da!!

Wir kommen erst zurück, als es schon zu dunkeln beginnt. Miloš sagt, dass er Hunger hat und schleppt mich in eine Kneipe in der Altstadt, wo er mir Fritten und vegetarische Frikandel und Backfisch und noch mehr Fritten ausgibt, bis ich fast platze.
Als ich wieder an normale und nicht-essbare Dinge denken kann, fällt mir auf, dass es reichlich ungewöhnlich ist, dass Miloš einfach so Geld für Essen ausgibt, denn vom Geld hat er meist nur sehr wenig und das Essen könnte er zuhause oder bei uns günstiger bekommen. Ich lade ihn im Gegenzug ein, mit zu mir nach Hause zu kommen, aber er lehnt ab. Mit der Begründung, er habe noch zu tun, verabschiedet er sich und trabt fort. Das ist noch viel ungewöhnlicher, denke ich. Normalerweise lässt er sich nicht zweimal bitten, wenn Cokko oder ich ihn zu uns bitten.
Aus dem soll mal einer schlau werden. Ich weiß nicht einmal, ob er demnächst wieder mitkommen oder lieber an Land bleiben will – auch wenn er nicht seekrank geworden ist.

Ich fahre nach Hause, wo Cokko mich erleichtert begrüßt. „Ich hatte mir ein bisschen Sorgen gemacht, weil es so lange dauerte. War es schön?“, fragt er und unterbricht mich, bevor ich mich dazu äußern kann: „Lass nur, sogar ein Blinder mit Krückstock merkt, dass es dir gefallen hat.“
Mein Bruder kennt komische Vergleiche! Warum muss der arme Blinde auch noch einen Krückstock haben, hat er nicht schon genug damit zu tun, dass er blind ist? Aber ich halte mich nicht länger damit auf. „Du hast wirklich was verpasst. Es war irre!“, mache ich ihm eine lange Nase. „Miloš war übrigens auch mit. Aber er musste nach Hause, sonst hätte ich ihn mitgebracht.“
Dabei fällt mir ein, dass es ja schon fast acht Uhr abends ist, weswegen er nach Hause gelaufen sein wird. Wie konnte mir das entgehen? Vielleicht hat er durch meine Trödelei einen Termin verpasst? Es war schließlich vorher nicht abzusehen, wie lange wir unterwegs sein würden.
Aber das hätte er mir immerhin sagen können, denke ich. Ach, egal, tue ich die Gedanken dann ab. Er wollte nicht drüber reden, also werde ich es durch meine chaotischen und verstürmten Überlegungen auch nicht herausbekommen.
Den Rest des Abends verbringe ich damit, Cokko mit unsinnigen Sätzen die Ohren voll zu quatschen, aber er erträgt es mit bewundernswerter Geduld. Er sagt, dass er froh ist, dass ich immerhin wieder stillsitzen kann.
Am Freitag werde ich erneut lossegeln und außerdem eine Menge zu essen mitnehmen und mich das ganze Wochenende auf dem IJsselmeer herumtreiben. Das wird toll.

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