17. Juli 2015

139

achtundvierzigstes Kapitel

In der letzten der vier ziemlich nassen Februarwochen passiert etwas, an das ich schon fast nicht mehr geglaubt habe und es in den letzten Wochen umso sehnlicher erwartet habe: Ich werde meinen Gips los! Allerdings habe ich nicht viel Gelegenheit, mich an meiner neuen Freiheit zu erfreuen, denn mein armer Arm ist ganz dünn und steif und schrumpelig geworden. Ich bekomme ein paar Einheiten Physiotherapie verschrieben und darf unter der strengen Aufsicht eines kauzigen älteren Mannes Bewegungsübungen machen, die mir ungeahnt heftigen Muskelkater an den unmöglichsten Stellen bescheren.
Das ist es aber nicht, was mir diese Vorfrühlingszeit absolut unvergesslich werden lässt. Als ich meinen Gips eine Woche los bin, klingelt ziemlich spät abends das Telefon.
Wie immer um diese Uhrzeit geht Cokko an den Apparat, weil ich der Ansicht bin, dass nur kleine Brüder so spät angerufen werden. Das hat nichts mit Logik zu tun (wer braucht so spät noch Logik?), sondern eher mit meiner Faulheit und Cokkos Gutmütigkeit.
Aber es ist nicht für meinen Bruder. Pieter ist am anderen Ende der Leitung. „Ich fahre morgen nach Amsterdam“, kommt er wie üblich schnell zu Sache. Pieter ist kein Typ für lange Vorreden, was uns unterscheidet.
Vorgestern waren wir zusammen in der schönen Hauptstadt unseres schönen Landes und haben Schlagzeuge angeguckt. Wir haben unzählige Läden durchstöbert und sind schließlich fündig geworden, denn den Tüchtigen belohnt das Glück.
Ich habe mit dem Händler vereinbart, dass er das Schlagzeug gegen Anzahlung für mich festhält und Pieter in ein paar Tagen kommt und eine zweite Anzahlung bringt und die Trommeln mitnehmen kann. Ich soll sie in aller Ruhe zuhause ausprobieren (haha, dann ist es mit der Ruhe erst mal vorbei!) und wenn ich kaufwillig bin, den fehlenden Betrag überweisen. Sollte ich kaufunwillig sein, fährt Pieter die Trommeln zu dem Händler zurück, bekommt die beiden Anzahlungen wieder und die Suche geht weiter.
Allerdings bin ich guter Dinge, dass der Kauf reibungslos vonstatten gehen wird. Das Schlagzeug ist okay und liegt genau in meinem finanziellen Rahmen. Besser kann es nicht klappen, finde ich.
Seine Nachricht, dass er nach Amsterdam fahren werde, heißt für mich, dass ich mich auf meinen Drahtesel zu schwingen, dem Geldautomaten an der Post einen Besuch abzustatten und Pieter besagte zweite Anzahlung vorbeizubringen habe. Das tue ich trotz der nachtschlafenden Zeit umgehend.

Ach, ich bin so aufgeregt wie ein kleines Kind vorm Geburtstag! Ich halte es kaum zuhause aus, aber Pieter hat gesagt, dass ich mich für alle Fälle in der Nähe des Telefons aufhalten soll: falls irgendwas dazwischen kommt, denn man kann mich ja sonst nicht erreichen. Ich weiß zwar nicht, was dazwischen kommen sollte, aber man weiß nie. Also muss ich wohl oder übel zuhause ausharren.
Jedoch versüßt mir die Aussicht auf ein eigenes Schlagzeug die Wartezeit. Ich nutze die Stunden, um in der Wohnung aufzuräumen. Bis ich einen Proberaum ausfindig gemacht habe, wo die Trommeln bleiben können, müssen sie nämlich in meine Werkstatt ausweichen. Zum Glück ist hier viel Platz, ich muss ja nur die elektrische Laubsäge ein Stück beiseite schieben, denn der Schreibtisch steht schon seit einer geraumen Weile im Schlafzimmer. Cokkos Laptop freut sich auch darüber, dass er nicht mehr so viel Staub ausgesetzt ist.
Als die Werkstatt bereitet ist, mache ich mich an die Küche, die mal wieder eine Scheuerlappenbehandlung vertragen könnte.
Ich schalte Lieblingsmusik ein und singe irgendwann so inbrünstig mit, dass ich die ersten beiden Telefonklingler gar nicht mitbekomme. Dann jedoch fällt es mir wieder ein: Pieter – das Schlagzeug!! Ich renne zum Telefon, hebe ab und rufe „Ja?“ hinein.

Keine Kommentare: