5. Juli 2015

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Cokko verbannt mich aus der Küche und kehrt die größeren Glassplitter zusammen. Während er den Staubsauger holt, tröstet Mommi mich. „Es ist sowieso zu eng für drei Leute in der Küche. Also mach kein langes Gesicht.“
„Der blöde Gips geht mir aber so auf den Geist“, murre ich.
„Das weiß ich, Junge. Morgen gehst du wieder zur Schule, dann vergehen die restlichen Wochen ganz schnell. Du wirst schon sehen.“ Sie streicht mir über die Wange.
Cokko kommt wieder in die Stube. „Du solltest dich vielleicht mal umhören, wo ein einarmiger Bandit gebraucht wird. Wenn du ein bisschen böse gucken übst, kann man dich da bestimmt gebrauchen. Du könntest Karriere machen.“ Er stöpselt das Kabel ein und fährt mit dem Staubsauger durch die Küche.
„Blödmann“, grummele ich, was im Getöse des Gerätes untergeht.
Mommi streichelt noch einmal meine Wange. Dann gehen die beiden wieder in die Küche und arbeiten. Ich stehe noch ein paar Minuten vor der Küche herum, dann verziehe ich mich ans Schlafzimmerfenster. Das ist am anderen Ende von Mommis Wohnung, dort kann ich das Geschirrgeklapper und die muntere Unterhaltung nicht hören.
Ich schaue in den wolkenverhangenen Himmel und sage Jesus, dass ich den Gips ganz furchtbar leid bin.
Jesus sagt mir fast dasselbe, was Mommi gerade gesagt hat. Dass es ganz flott geht, wenn ich erst mal wieder mehr zu tun habe.
Ich frage ihn, da er so gut ist in Sachen Wunder, ob er nicht bei meinem Ellbogen ein bisschen nachhelfen könnte?
Was möchtest du, fragt er zurück, ein Gesundheitswunder oder eine kleine Lehreinheit in Sachen Geduld? Natürlich kann ich deine Knochen sofort zusammenwachsen lassen. Aber ich dachte, das mit der Geduld wäre nicht verkehrt bei dir.
Na ja
, mache ich, lieber hätte ich das Gesundwunder.
Gesund werden hat seine Zeit und Geduld lernen hat auch seine Zeit
, sagt Jesus. Wenn ich deinen Ellbogen jetzt sofort heilen würde, hättest du hinterher keine Zeit mehr, um die Geduld zu lernen.
Na ja
, mache ich wieder und bin schon einsichtiger, da hast du wohl Recht … Ich denke eine Weile nach und frage ihn dann, ob es sein kann, dass er mich absichtlich gestoppt hat, damit ich stillsitze und Geduld lernen kann, weil mir nichts anderes übrig bleibt.
Nein, sagt Jesus und streicht mir über den Kopf, ich habe dich nicht absichtlich gestoppt. Aber es kommt mir ziemlich gelegen, dass du gerade mal ein bisschen stillsitzen musst.
Da tritt Cokko ins Zimmer und unterbricht unser Gespräch, indem er verkündet, dass das Essen fertig ist.


sechsundvierzigstes Kapitel

Man kann nicht behaupten, dass ich mit dem Gips versöhnt wäre, als ich am nächsten Morgen zu meiner Arbeitsstelle radele. Doch das kurze Gespräch mit Jesus hat mir inneren Frieden gegeben, denn nun weiß ich, dass auch der Gips einen Sinn hat, mit den ganzen Einschränkungen, die er mir beschert hat und noch bescheren wird. Und dass die Zeit nicht unnütz verstreicht, in der ich nicht segeln, trommeln oder was auch immer tun kann.

Meine Kolleginnen freuen sich, mich endlich wieder in ihrem Kreis begrüßen zu dürfen. Grietje erzählt, was es Neues gibt, wie die Kinder sich entwickelt haben und so weiter. Seit zwei Wochen gibt es außerdem eine neue Praktikantin, Valerie. Sie ist sechzehn, hübsch und scheint nett zu sein, und in einer Sache ist sie wie fast alle Praktikantinnen, die ich bisher hier erlebt habe: Sie verknallt sich sofort in mich.

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