5. Juli 2015

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Ich habe Glück, er ist da.
Er ist noch mit einer Kundin beschäftigt, besser gesagt ihrem Fahrrad, dessen Gepäckträger nicht mehr festhält. Pieter baut eine neue Spannfeder ein und das Problem ist behoben.
Als wir alleine im Raum sind, gebe ich mich nicht lange mit einleitenden Worten oder gar Diplomatie ab und sage: „Sorry, dass ich so unausstehlich war. Sind wir wieder Freunde?“
Pieter grinst, wischt die Finger an einem Papiertuch ab, kommt auf mich zu und nimmt mich in den Arm. „Ich dachte schon, du würdest nie mehr die Kurve kriegen. Was war denn eigentlich los? Ich meine, außer dem Armbruch, den hast du ja immer noch.“
Ich zucke mit den Schultern. „Ich glaub, es hatte keinen bestimmten Grund. Brauchst du etwa neuerdings ‘nen Grund, um schlechte Laune zu haben?“, schiebe ich grinsend ein. Pieter hat mal den Spruch erfunden, „Wer morgens schon nörgelt, braucht keine Zusammenhänge.“ Damit hat er Recht. „Aber gestern hat Mommi mir bewiesen, dass die Heilung viel besser klappt als beim letzten Mal. Da hat sie nämlich auch alles aufgeschrieben. Und deswegen hab ich gedacht, hab ich keinen Grund mehr, ständig nur an Weltuntergang zu denken. Oft ist das ja so, dass beim zweiten Bruch an der selben Stelle noch mehr schief gehen kann. Cokko hat dir bestimmt davon erzählt, dass ich nur noch ein Thema hatte. Das ist jetzt aber vorbei.“
„Na hoffentlich, Alter. Das war echt nicht auszuhalten.“ Pieter fällt etwas ein und er bietet an: „Ich hab noch ein paar Stunden zu tun, aber du kannst es dir hier gemütlich machen, wenn du willst. Dann können wir ein bisschen quatschen und so.“
„Das klingt gut.“ Ich ziehe mir einen Stuhl heran und lasse mich vor der Kasse nieder. Da bin ich Pieter nicht im Weg.
„Heute früh hab ich übrigens Cokko und Miloš gesehen. Die waren mal wieder ziemlich sportlich unterwegs.“ Er hängt ein Fahrrad mit Lenker und Sattel an zwei Drahthaken und beginnt, die Pedale abzumontieren.
Hier in seinem Werkstattladen bekommt Pieter eine Menge mit. Er hat ein großes Fenster mit Blick auf die Kreuzung der Sint Jansstraat mit der Westerkade, die eine der Hauptstraßen Zuyderkerks ist. Wenn man ihr weiter folgt, kommt man entweder zum Hafen (und dort entlang über den Deich nach Oosterdijk, wo Miloš gerne läuft) oder in der anderen Richtung in die Neustadtviertel (wo Miloš wohnt).
„Was heißt eigentlich mal wieder?“, fällt mir zu fragen ein.
„Das machen die sicherlich schon drei Wochen lang. Ich dachte, du wüsstest das.“
„Wahrscheinlich haben sie mir nichts davon gesagt, weil ich dann noch mehr Sachen wüsste, die ich gerade nicht machen kann“, mutmaße ich, auch wenn ich sonst nicht joggen gehen würde – aber das kann Cokko ja nicht wissen. „Um halb zwei wollen sie jedenfalls fertig sein mit Sportmachen und dann den Rest des Tages mit mir verbringen, wenn ich Bock habe. Wenn du Bock hast, kannst du ja auch mitkommen.“
„Was habt ihr denn vor?“, fragt er abgelenkt. Er hat mittlerweile das Tretlager entfernt und säubert es von Dreck und altem Öl.
„Weiß ich nicht, aber die beiden denken sich bestimmt was aus. Wenn du auch da bist, hab ich jedenfalls einen, mit dem ich niederländisch reden kann.“
„Warum denn das?“, will Pieter wissen, „der Miloš kann doch schon viel mehr als zu Anfang?“
„Ja, aber Cokko hat festgestellt, dass mazedonisch so ähnlich ist wie serbisch und jetzt unterhalten sie sich immer damit. Einer seiner Kumpels in Kanada war Mazedonier.“
„Das ist natürlich ein Grund, ab sofort nur noch mazedonisch zu reden“, grinst er.


fünfundvierzigstes Kapitel

Kaum dass ich weiß, dass die Heilung besser voranschreitet, fühlt es sich auch danach an.
Meine Stimmungsschwankungen lassen nach und ich werde wieder fröhlicher.
Außerdem ist ein anderer Grund zum Fröhlichsein näher gerückt: Übernächste Woche Montag darf ich endlich wieder in die Schule gehen. Neulich habe ich meine Chefin und die Kolleginnen besucht und offenbar einen guten Eindruck hinterlassen, sodass Andjo mich zwei Wochen eher als ursprünglich beabsichtigt wieder in ihre Arbeitsplanungen einbezieht.
Weil Cokko anfängt, viel Zeit mit Miloš zu verbringen, bin ich mehr bei Pieter, so wie früher. Wir unternehmen aber auch viel zu viert.

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