5. Juli 2015

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Ich dagegen habe schon vor Wochen aufgehört, mit Jesus zu reden. Ich sehe keinen Sinn darin. Er weiß ja, in welchem Schlamassel ich stecke und er weiß auch, wie ich reingekommen bin. Und drittens weiß er, wie ich wieder rauskommen könnte, nämlich mit einem Wunder.
Und, wer ist für Wunder zuständig? – Er.
Wer unternimmt kein Wunder? – Er.
Warum sollte ich mich also mit ihm befassen?

Eines Sonntags sind wir bei Mommi zum Essen eingeladen und ich höre durch die nur angelehnt stehende Küchentür, wie sie sich beim Kochen unterhalten.
Cokko regt sich gerade über mich auf. „Manchmal möchte ich ihn am liebsten zum Mond schießen!“
Mommis Antwort höre ich nicht und mein Bruder sagt als nächstes: „Ja, sein Glück, dass ich so ein netter Kerl bin.“
„Jeremy braucht uns. Er hat Angst um seinen Arm und macht sich Sorgen. Dazu kommt, dass er nichts Sinnvolles zu tun hat, deswegen dreht sich schnell alles nur noch um den Arm. Hab weiter Geduld mit ihm. Irgendwann wird es wieder besser.“
„Na hoffentlich“, grummelt Cokko.
„Du hast es doch gut, du kannst morgens nach Medemblik fahren und kommst erst abends heim“, sagt sie und er unterbricht: „Im Gegensatz zu dir.“
„Nein, darauf wollte ich nicht hinaus. Wenn ich ihn leid bin, kann ich ihn vor die Tür schicken. Er selber muss sich aber die ganze Zeit aushalten. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er sich absichtlich so verhält.“
„Ich schon.“
„Meinst du, dass es ihm Spaß macht, immer mit allen Streit zu haben? Nein, dafür ist er zu verzweifelt.“
Leider schaltet einer von beiden jetzt ein Küchengerät an, das den Rest der Unterhaltung übertönt. Es gefällt mir nicht, dass sie über mich reden, als wäre ich gar nicht da, dabei sitze ich im Nebenzimmer. Andererseits bin ich doch ganz froh, gelauscht zu haben, denn es beruhigt mich, dass sie zu mir stehen, auch wenn ich es ihnen nicht einfach mache.

Meine Mommi überrascht mich damit, dass sie wieder ein Heilungstagebuch führt, genau wie beim letzten Ellbogenbruch. Dort hat sie fast akribisch eingetragen, ob es Fortschritte gibt und wie diese aussehen. Wenn ich auf ihre Frage nach meinem Befinden mal wieder nur „mir geht’s scheiße“ gesagt habe, hat sie das in verständliche Worte gefasst und gegebenenfalls den gesamten Tageseindruck aufgeschrieben. Deswegen fällt ihr auch als erster auf, dass die Heilung besser voran geht als beim ersten Bruch.
Das habe ich vor lauter Schwarzseherei, Langeweile, schlechter Laune und Streit mit Jesus und den lieben Mitmenschen gar nicht bemerkt, und es bringt mich dazu, gründlich in mich zu gehen. Dazu habe ich reichlich Zeit, denn es ist Freitagabend und ich bin alleine zuhause. Cokko und Pieter sind gemeinsam ausgegangen und haben mich nicht mal gefragt, ob ich mitkommen möchte. Allerdings hätte ich das auch nicht getan, wenn sie mich gefragt hätten. Ich bin nicht der Typ, der in Discos das Tanzbein schwingt (63), und genau das haben sie vor.
Als ich mit dem In-mich-Gehen fertig bin und wieder aus mir herauskomme, ist schon Morgen. Ich habe so gut wie lange nicht geschlafen. Cokkos Bett ist leer, und in der Küche finde ich die Erklärung dafür: schriftlich hat er mir hinterlassen, dass er sich mit Miloš zum Sport verabredet hat und wenn ich den Rest des Tages mit den beiden verbringen will, soll ich gegen halb zwei in der Wohnung sein, denn dann kommen sie wohl ungefähr wieder.
Erst mal mache ich mir aber etwas zu essen und weil mich mein Gewissen mich inzwischen ganz gehörig drückt, gehe ich zu Pieters Fahrradladen.

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