4. Juli 2015

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Er sagt irgendwelche Worte, ich verstehe keins. Ich bin einfach nur erleichtert.
Dann legt er auf und trocknet vorsichtig mein Gesicht. „Jeremy, es tut mir leid. Es war mein Fehler. Ich hätte es dir noch einmal sagen sollen, nachdem wir festgestellt hatten, dass du dich an nichts erinnern konntest. Denk jetzt nicht mehr darüber nach. Soll ich vielleicht eine Krankenschwester fragen, ob es noch etwas zu Essen für dich gibt?“

Natürlich gibt es etwas zu essen für mich. Es ist Kartoffelpüree mit einem Klecks Sahne. Cokko führt den Löffel. Mittendrin klingelt das Telefon und er hält an.
Weil ich weiter den Mund aufsperre (59), fragt er: „Was ist, willst du nicht rangehen?“
„Ich hab keine Hand frei.“
Da hat er schon den Hörer abgenommen und legt ihn neben meinem Ohr aufs Kissen.
Aus Gewohnheit melde ich mich mit „Ja?“
„Jeremy, bist du’s?“, höre ich.
„Ja. Wer ist da?“
„Cora. Wie geht es dir?“
„So lala.“
„Hat Cokko dir ausgerichtet, was ich ihm gesagt habe?“
„Wahrscheinlich. Aber sags mir noch mal“, bitte ich ungeniert. Ich hab eine Gehirnerschütterung, ich darf das.
„Ja, du warst ja auch gestern Morgen nach der OP nicht so richtig wach. Also, ich werde dir das nie vergessen, Jeremy. Du hast deine Gesundheit aufs Spiel gesetzt, um mein Kind zu retten. Cokko hat gesagt, dass du den Ellbogen schon mal gebrochen hattest. Das tut mir furchtbar Leid. Wenn sich das jetzt nicht total kitschig anhören würde, würde ich sagen, dass ich tief in deiner Schuld stehe.“
Mein Bruder tippt mich sachte an und formt mit den Lippen „Bin mal eben pinkeln.“
„Es klingt wirklich kitschig“, stimme ich zu. „Wie in so einem Mittelalterfilm.“
„Wenn es irgendwas gibt, das ich für dich tun kann, dann lass es mich wissen, ja?“
„Mach ich“, sage ich, obwohl mir nicht ganz klar ist, was das sein könnte. Ich könnte sie für die nächsten Wochen als Haushaltshilfe engagieren, haha.
„Bist du eigentlich alleine?“, fragt sie dann.
„Was heißt das, alleine?“, frage ich zurück, „Mein Zimmernachbar ist da und das ganze Krankenhaus ist voller Leute.“
„Nein, ich meine, ob dein Bruder da ist.“
„Nein, warum? Willst du auch mit ihm reden?“
Jetzt gibt sie die Frage zurück: „Warum sollte ich das wollen?“
„Vorhin hab ich meine Chefin angerufen, und die wollte mit ihm telefonieren.“
„Ach so. Nein, ich wollte jedenfalls nicht mit ihm reden. Tut mir Leid, dass wir nur telefo­nieren können. Ich hätte dir das lieber direkt gesagt, aber es ging ja nicht. Und ich konnte auch nicht länger warten, denn ich musste diese Fähre kriegen. Ich hatte mich schon vor Weihnach­ten mit Rianne verabredet, ich konnte sie nicht versetzen. Rianne ist meine beste Freundin, sie hätte das verstanden. Aber sie hat auf meine Katze aufgepasst. Heute ist sie in Urlaub gefahren, und ich passe auf ihre auf.“ Sie wechselt das Thema: „Ich werde übrigens den Kinderwagen­hersteller verklagen. Es ist ein pipi-einfacher Konstruktionsfehler: Der Bremsbügel rastet nicht ein. Ich hatte bei der Glühweinbude die Bremse runtergeklappt. Hinterher war ich nicht mehr sicher, bei so einem Unfall denkt man ja an alles und nichts. Aber ich hab es dann später noch mal ausprobiert und da hab ich festgestellt, dass sich der Bügel löst, wenn der Wagen am Hang steht und ein bisschen schaukelt. Schaukeln kann Lioba auch, wenn sie größer ist.“
„Ja, bis dahin brauchst du einen anderen Aufpasser“, witzele ich.
Cora schnaubt. „Aber keinen wie Elias, der nur rumsteht und blöd aus der Wäsche guckt. Anscheinend ist er nur schnell, wenn es um seine Belange geht.“
Sollte mich das mit Freude (60) erfüllen? Scheint so, dass Elias jetzt nicht mehr mit Cora zusammen ist, die auf reifere Männer steht. Scheint so, dass er auch nicht reif genug war. Ach, denke ich dann, das kann mir doch völlig wurscht sein.

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