4. Juli 2015

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Leider hat sie nicht vor, noch länger zu bleiben, denn sie geht zur Tür und löscht das weiße Deckenlicht. Nur eine matte Leuchte direkt über dem Bett bleibt an, doch sie ist so angebracht, dass sie mich nicht blenden kann, selbst wenn sie hell genug wäre.

Wenn einem als Folge eines Bruchs bei Wetterwechseln alles weh tut, wie ist das dann nach dem zweiten Bruch?
Ich habe Angst davor, dass meine Verletzungen mich so langsam richtig einschränken. Ich soll schon laut ärztlicher Empfehlung keine schnellen Teamsportarten mehr machen wie Basketball und so weiter, seit ich mir das Knie so gewaltig verdreht hatte, als nächstes darf ich wohl nur noch einsam auf dem Sofa liegen und mir das Leben aus der Ferne angucken!
Und wie soll ich ohne den Arm trommeln?
Kochen?
Irgendwas handwerkliches anfangen?
Großartige Perspektive!
Mann, Jesus, meckere ich ihn an, wofür hast du mir eigentlich so einen Körper gegeben, wenn schon jetzt alles kaputt geht? Wie soll ich es schaffen, achtzig Jahre alt zu werden, ich bin ja noch nicht mal dreißig und schon liegt alles in Trümmern! Soll ich etwa die nächsten fünfzig Jahre im Rollstuhl verbringen?!
Noch etwas wird mir klar, wie ich so herum liege und einen düsteren Gedanken nach dem anderen habe. Ich kann mich so nicht in die Nähe der Kinder wagen, denn im Umgang mit ihnen kommt es automatisch dazu, dass ich irgendwo anstoße.
Vielleicht kann ich nie wieder in der Schule arbeiten, geht es mir durch den Kopf, und mir graust davor. Was soll ich sonst arbeiten? Ich bin so verzweifelt, dass mir jetzt nicht mal mehr was einfällt, das ich zu Jesus sagen könnte, auch keine Anklagen. Ich denke nur noch schreckliche Dinge vor mich hin und werde darüber immer fertiger.

Mittendrin kommt erst das Frühstück (58) und etwas später die angekündigte Chefarztvisite. Ein Mann und eine Frau in weißer Kleidung stehen plötzlich an meinem Bett herum, und der Mann stellt sich als Doktor van der Sar vor. Er fragt, wie es mir geht.
Ich konzentriere mich mal kurz auf die Dinge, die sind (statt nur an die zu denken, die nicht mehr sind) und erkläre, dass mir meine ganze linke Seite weh tut, weil der Ellbogen so schmerzt und dass ich Angst habe, dass das jetzt so bleibt.
„Hatten Sie denn früher schon Beschwerden?“, erkundigt er sich.
„Ja, bei Wetteränderungen. Und der Arm war natürlich auch sehr stoßempfindlich. Ich hatte den ja schon mal gebrochen.“
Er nickt. „Das habe ich auf dem Röntgenbild gesehen“, sagt er. „Wie geht es Ihnen denn ansonsten? Schmerzt Ihre Wange noch?“
Das klingt fast so, als wollte er ablenken. Ich gehe aber darauf ein, denn was soll er sonst noch zu dem Ellbogen sagen, und erkläre: „Also, das Gesicht tut nur weh, wenn ich es bewege. Die Knie tun fast gar nicht mehr weh. Aber der Rest ist ziemlich hin.“
„Schlafen Sie gut?“
„Nee“, mosere ich den Doktor an, dabei kann er nichts dafür. Ich nehme mich ein bisschen zusammen. „Letzte Nacht hab ich Tropfen bekommen.“
Die Frau sagt den Namen des Medikaments und weil die beiden keine Fragen mehr an mich haben, höre ich nicht länger zu.
Was ist, wenn ich nie wieder in meiner geliebten Schule arbeiten kann?
Und als wäre das alles nicht schon schlimm genug, fällt mir auf einmal auch noch das Gespräch ein, das ich im September mit Andjo hatte. Sie hatte mir da dringend geraten, nicht mehr krank zu feiern. Von Feiern kann hier keine Rede sein – aber was, wenn der Schulleitung die folgenden acht Wochen zu lange dauern? Außerdem weiß niemand, wo ich gerade bin! Es ist Montagmorgen und ich bin einfach nicht am Arbeitsplatz erschienen!

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