Irgendwann habe ich die Luft angehalten, jetzt lasse ich sie vorsichtig ab. Anscheinend ist nichts schlimmes passiert, nur die Knie hab ich mir gesto–aaAAAHHhh!
Jäh packt mich ein wilder, wütender Schmerz, der alles Denken zum Stillstand bringt. Ich habe keine Ahnung, woher er kommt. Er ist überall zugleich und so durchdringend, dass es mir den Atem raubt.
Vorsichtig löst irgendwer meine verkrampfte Faust aus dem Gestänge, ich werde auf den Rücken gedreht. Alle schreien durcheinander. „Ach du liebe Güte!“ – „Jeremy, was ist denn los?“ – „Nicht anfassen!“ – „Sag doch was, bitte!“ – „Mach die Zähne los! Luft holen!“
Der Schmerz explodiert in meinem Kopf.
Dann geht das Licht aus.
Cokko ist in der Nähe. Er summt sein aktuelles Lieblingslied. Ich kriege die Augen nicht auf. Jetzt streichelt er meinen Arm, „Ganz ruhig, Jeremy. Warte. Ich helf dir.“
Etwas Feuchtes wischt über meine Augen, ich kann sie öffnen.
Da lächelt er mich an und setzt sich auf die Bettkante. „Na, großer Bruder?“, macht er.
So wie es hier aussieht, bin ich wohl im Krankenhaus: die Decke ist weiß, die Tapeten sind weiß, das Licht ist weiß, und es riecht auch unverkennbar danach.
„Willst du Tee?“, fragt er.
Aus mir krächzt ein „Ja“ hervor, weil mein Mund ganz trocken ist.
Er gibt mir aus einer Tasse mit Röhrchen zu trinken, es ist Pfefferminztee.
„Wie geht’s dir jetzt?“, fragt er dann.
Dazu muss ich erst mal in mich gehen, um das definieren zu können. „Beschissen“, sage ich schließlich, denn mir fällt kein passenderes Wort ein. Neben dem Bett steht ein Infusionsständer mit zwei Flaschen, deren Inhalt wahrscheinlich mit mir zu tun hat.
„Cora hat vorhin angerufen, sie ist gut zuhause angekommen. Sie sagt, das wird sie dir nie vergessen. Es hörte sich an, als wärst du jetzt eine Art Heiliger für sie.“
Aha. „Was wird sie mir nie vergessen?“, fällt mir zu fragen ein. Meine rechte Gesichtshälfte ist vom Kinnbacken bis fast zur Stirn seltsam steif.
„Wie, was wird sie dir–“ Er hält inne. „Du weißt es nicht mehr?“
„Was weiß ich nicht mehr?“
„Au weia! Wie ist mein Name?“
„Cokko.“
„Der richtige Name!“
„Cornelius McLachlan. Was soll die Fragerei?“
„Du hast eine leichte Gehirnerschütterung. Ich hatte gerade Angst, dass du einen Gedächtnisschwund hättest.“
„Hm“, mache ich. Das scheint so zu sein. „Was wird sie mir nie vergessen?“
„Was hast du von gestern mitbekommen?“
Ich versuche das Chaos in meinem Kopf zu ordnen. „Wir versammeln uns in West … zum Spazierengehen. Es ist kalt … wir gehen über den Vaarder – aus.“
„Wir sind gestern nicht über den Vaarder gegangen.“
„Doch. Heute ist unser letzter Urlaubstag. Wäre gewesen. Ohne das da.“ Ich zwinkere zum Infusionsständer hin.
Er streichelt mir über den Kopf. „Jeremy, dir fehlt ein ganzer Tag Erinnerung! Aber es ist gut, dass du nichts vom Unfall mitbekommen hast. Das war schrecklich.“
Will ich wissen, in welchen Unfall ich verwickelt war? Lieber nicht.
Nach einer Weile fängt er nochmal damit an: „Und was weißt du von heute?“
Nebelschwaden ziehen durch mein offensichtlich erschüttertes Gehirn. „Sag mir, was ich wissen müsste.“
„Cora war morgens hier. Sie hat ziemlich lange an deinem Bett gesessen und geredet. Und geheult. Das weißt du nicht?“
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