„Siebenundzwanzig“, korrigiere ich und stehe auf. „Warte hier“, sage ich meinem Bruder, schließlich kann ich mich alleine anziehen und möchte daher nicht, dass er mir zuguckt und seinen Senf zu allem gibt, was er zu sehen bekommt. Ein paar Minuten stehe ich in unserem Zimmer ratlos vor meiner Tasche, dann ziehe ich eine neue, noch durchgehend dunkelblaue Jeans an, ein grünes Hemd und den quergestreiften Pullover, den Marjorie im letzten Sommerurlaub für mich gestrickt hat. Im Urlaub hat sie nämlich Zeit für solche Dinge, dann sind ihre Jungs (so nennt sie ihre Familie) mit Bergsteigen und Downhillbiken und anderen Dingen beschäftigt, was man eben so macht, wenn man in ein Gebirge wie den Harz oder die Vogesen fährt. Marjorie verbringt ihre Urlaube am liebsten mit herumsitzen, lesen, kreuzworträtseln und stricken, was der Rest der Familie nicht verstehen kann, mich eingeschlossen.
Ich ziehe den grünen Hemdkragen rund um meinen Hals aus dem Pullover heraus, falte ihn um, streiche ihn glatt und betrachte mich im Badezimmerspiegel. So kann ich mich ruhigen Gewissens in die Küche wagen.
Cokko betrachtet mich kopfschüttelnd. „Weißt du denn nicht“, fragt er mich grinsend, „dass Querstreifen dick machen?“ Dann sagt er ernster: „Nee, das kannst du nicht so anziehen, das geht nicht. Du gehst nicht in den Kindergarten, sondern zu einer Fete. Und du bist wirklich kein Opa.“
„Ich weiß, dass ich kein Opa bin, das musst du mir nicht dauernd sagen. Außerdem arbeite ich nicht im Kindergarten, sondern in der Schule. Kindergärten haben wir Niederländer schon vor fast zehn Jahren abgeschafft, ihr rückständigen Kanadier!“
„Entschuldigung, dass ich das nicht wusste, du fortschrittlicher Niederländer“, sagt Cokko. „Aber es ging ja gar nicht um Kindergärten, sondern um Klamotten.“
„Stimmt, aber andere Sachen hab ich nicht mit.“ Was denkt er denn, was ich mitnehme, bloß um über Silvester nach Dersummeroog zu fahren? Ich bin weder zum Theater noch zum Galadiner eingeladen, also brauche ich auch keine Klamotten dafür.
Cokko hört nicht auf mein Lamentieren. Er steht auf und nimmt mich an der Hand. Gezogen gelange ich wieder in unser Zimmer und gucke ihm zu, wie er meine Tasche auf dem Bett leert. Ich habe Zeit, seinen Blick auf mich wirken zu lassen, als er sieht, dass in meiner Tasche tatsächlich nicht viel mehr ist. „Sag mal, ziehst du eigentlich immer das selbe an?“
Kommt jetzt wieder diese elende Klamottendebatte? Ich dachte, das Kapitel wäre mit Helenas Abgang vorbei gewesen! „Ja, stell dir vor!“, erwidere ich sauer. „Na und? Ich bin eben nicht so ein Modefuzzi. Du kriegst mich auch nicht mehr umerzogen, gib dir gar keine Mühe. Das haben vor dir schon ganz andere Leute versucht.“
„Reg dich ab“, murmelt er und räumt die paar Kleidungsstücke zurück in die Tasche. „Ich dachte ja bloß.“ Versöhnlich guckt er zu mir hin, und dann sagt er, um mich abzulenken: „Du siehst echt voll cool aus, wenn du so böse guckst.“
„Mach ich extra. Damit die Leute merken, dass ich böse bin“, erkläre ich, nach wie vor böse. „Wenn ich lachen würde, würde mich doch keiner ernst nehmen.“
„Stimmt.“ Cokko grinst, und schließlich grinse ich mit.
„Aber trotzdem, ich finde … na ja, die Sachen sind nicht so … modern“, fängt er wieder an. „Was hältst du zum Beispiel davon, wenn wir im Partnerlook antanzen würden?“ Aus seiner Tasche (sie ist viel größer als meine, endlich begreife ich, was er so viel mit sich herum schleppt) holt er eine Jeans und zwei bläuliche Sweatshirts. Dann langt er erneut in die Tiefen seiner Reisetasche und zieht einen Packen rotweißen Stoffs hervor. Als er den Packen auseinander faltet, stelle ich fest, dass es zwei T-Shirts sind, die aussehen wie die kanadische Flagge. Sie haben rote Ärmel und sind ansonsten weiß, bis auf das rote Ahornblatt auf der Brust.
Interessiert verfolge ich, wie Cokko die Jeans anzieht, die meiner relativ ähnlich ist, dann das Sweatshirt und zum Schluss das T-Shirt darüber. „Komm schon, mach mit!“
Ich finde die Reihenfolge zwar etwas merkwürdig, bisher habe ich T-Shirts immer drunter gezogen, aber ich sage mir, andere Völker haben andere Sitten. Ich vertausche Hemd und Streifenpullover mit der kanadischen Kombination und begleite meinen Bruder ins Bad.
Aus dem Spiegel sehen uns zwei ziemlich komische Typen entgegen. „Toll“, findet Cokko und stupst mich an. „Was sagst du denn dazu?“
„Blöd.“
„Was ist blöd? Gefällt dir die Flagge nicht? Ich fand das voll klasse, deswegen hab ich dir eins mitgebracht!“ Beinahe klingt er ein bisschen traurig.
„Das Muster ist okay“, ich zupfe am Flaggen-T-Shirt, „aber ich trag das sonst drunter.“
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