Sie gerät ins Schwärmen, während sie Kommentare zu den einzelnen Fotos abgibt. Sie hat die drei größten Städte des Landes gesehen, sie ist mit einer Freundin bei den Gauchos gewesen und hat zwei Wochen auf dem Pferderücken verbracht, sie ist in den Anden gewesen und hat dort kleinere Gipfel bestiegen und eine Menge wilder Tiere gesehen, zum Beispiel einen Kondor und ein ganzes Rudel wilder Lamas, die Vikugnas heißen und die sie aus erstaunlicher Nähe hat fotografieren können. Sie ist auch zu einer Abenteuertour in den felsigen Süden eingeladen worden und hat mit einem Hubschrauber einen Rundflug zum Ende des südamerikanischen Kontinents gemacht („Kap Hoorn haben wir nicht gesehen, es war dort sehr nebelig“, vertraut sie mir an), und ganz nebenbei hat sie erstklassig Spanisch sprechen gelernt. Sie hat viele nette Menschen getroffen und sie alle nach Dersummeroog eingeladen, und die Einheimischen haben sich gefreut, dass jemand aus dem Norden, von so einer winzigen Insel außerdem, den weiten Weg nach Argentinien gefunden hat, und sich so wohl bei ihnen fühlt.
Unversehens ist es zehn Uhr abends geworden und wir machen uns auf den Weg nach Westerdorp. Boje wird nicht mehr fahren dürfen (bzw. können), wenn die groß angelegte und Neujahrssause genannte Party zu Ende ist, daher fährt er zuerst nach Hause und stellt sein Auto in der heimischen Garage ab.
Während er mit Cokko im Haus verschwindet, um die Kracher zu holen, habe ich Gelegenheit zu beobachten, dass Alison offenbar in meinen Bruder verschossen ist. Sie schaut ihm nämlich sehr sehnsüchtig hinterher. Wenn meine Menschenkenntnis mich nicht kolossal täuscht, ist allerdings nicht Cokko, sondern Boje in sie verliebt.
Die Sause gerät recht ausschweifend, was sich schon gegen Mitternacht erahnen lässt. Weil ich mir Sorgen um meine Kondition mache, schließlich bin ich morgen (das heißt, heute) schon zur nächsten Fete eingeladen, widme ich mich ihr nicht mit vollem Einsatz.
Cokko sagt, dass er meine Befürchtungen teilt, und wir scheiden gegen halb zwei von der bereits sehr lustigen Gesellschaft. Wir werden keineswegs als Langweiler und Spaßbremsen verlacht, was ich eigentlich schon als gegeben hingenommen hatte, denn zusammen mit uns verabschieden sich auch Ieuwkje und Anno.
Im Taxi, das uns nach Hause schafft, fragen wir Ieuwkje, dass das doch nicht ihre Art sei, einer Party aus dem Wege zu gehen, ob Südamerika sie denn so verändert hat? Sie erklärt uns, dass sie sich an den Vorbereitungen von Annos Geburtstagsfeier beteiligt, und dass dort eben noch dies und das zu erledigen sei.
Dementsprechend ist sie auch morgens schon recht früh aus dem Haus. Cokko und mir bleibt nur, alleine zu frühstücken, denn Tante O ist natürlich längst fertig damit, als wir endlich aus den Betten gekrochen kommen.
Danach überlegen wir, was wir mit dem Rest des halben Tages anfangen sollen. Mir fällt nur „Schwimmbad gehen“ ein, denn das Wetter ist im neuen nicht besser als im alten Jahr.
„Nee, lass mal“, bemängelt mein Bruder meinen Ideenreichtum. „Ich krieg ja Schwimmhäute“, sagt er, und nach einer Weile fügt er hinzu: „Und Kiemen.“
„Und Schuppen“, fällt mir dazu ein. Wir denken zur Zeit nicht ganz so schnell, wie man es sonst von uns gewöhnt sein könnte, obwohl wir gestern noch einigermaßen aufrecht standen. Heute sieht es damit anders aus.
„Nee. Die hab ich schon.“
Ich kichere bei der Vorstellung, mein Bruder wäre ein Fisch.
„Und, was machen wir heute?“, nimmt er den Faden wieder auf.
„Kino?“, frage ich lustlos.
„Strand?“, macht Cokko mich nach.
Ich kichere schon wieder los.
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