4. Juli 2015

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„Arschkalt“, konkretisiere ich grinsend.
„Willst du was Heißes trinken?“
„Gerne.“

Im Laufe der nächsten Viertelstunde versammeln sich wie auf ein geheimes Signal hin alle Familienmitglieder in der Küche.
Marjorie macht den Ofen auf, holt die vier Bleche raus und stellt sie auf dem Herd und einigen Korkuntersetzern auf der Arbeitsplatte ab.
Das kleine ABC kann es nicht erwarten, bis es etwas zu Essen gibt und turnt herum, bis Bas sich an einem heißen Blech verbrennt und Chris dafür verantwortlich macht. Gerrit ruft Bas zu, dass er nicht seinen Bruder verhauen, sondern die schmerzende Hand unter kaltes Wasser halten soll. Jetzt mischt sich auch Ad noch ein und behauptet, dass Bas sich gar nicht verbrannt hätte und sich nur anstellt, was weiteres Geschrei zur Folge hat.
Ein bisschen ruhiger wird es erst, als Gerrit die Pizzastücke auf die Teller verteilt. Wenn man vom kurz darauf erklingenden Schmatzen und dem einen oder anderen Lob für die Pizza­bäckerin absieht, könnte man wirklich eine Nadel auf den grauweiß gefliesten Küchen­fußbo­den fallen hören.

Dass sie gut drei Stunden Vorbereitung für die viele Pizza gebraucht hat, wir aber nur zwan­zig Minuten, um sie verschwinden zu lassen, nimmt sie nicht übel. Sie ist schließlich schon seit etwas mehr als sechzehn Jahren Mutter mindestens eines Sohnes. In der Zeit hat sie sich daran gewöhnt, dass Essen eine schnelle Angelegenheit ist.
Meine kleinen Brüder bekommen das Spülen aufgedrückt und wir Großen verziehen uns ins Wohnzimmer. Sehr kurz darauf verlässt Gerrit uns aber schon wieder und murmelt, er habe noch was zu tun.
„Er hat ein schlechtes Gewissen“, sagt Marjorie erklärend.
Ich hebe die Schultern. „Das geht vorbei.“
Wir reden noch über dies und das, über meine Arbeit in der Schule, über ihren alltäglichen Familienwahnsinn, über ihre Stelle in einem ambulanten Pflegedienst, über den Rauswurf bei der Band und natürlich über die Zeit, die ich mit Cokko hatte und darüber, dass er nach Weih­nachten bei mir einziehen wird.
Vorher werde ich nicht mehr nach Alkmaar fahren, zumindest nicht so höchst offiziell mit Einladung und Essen, aber sie lädt mich ein, im neuen Jahr zusammen mit meinem neuen Bruder neue Pizzarezepte auszuprobieren.

Abends spät, als ich im Bett liege und einschlafen will, aber hellwach bin, frage ich Jesus zum x-ten Mal an diesem Tage, warum er mich am Bahnhof nicht um Helena herumführen konnte. Eine Minute früher oder später hätte völlig ausgereicht! Und genug Platz ist da auch!
Er schweigt sich nach wie vor aus.
Was heißt dein Schweigen heute? Dass ich nicht weiter drüber nachdenken soll? Dass ich Frieden mit ihr schließen soll? Oder was?, schicke ich Fragen am laufenden Band hinaus in den Orbit.
Frag mich doch mal was anderes, weicht er aus.
Ich hasse das, wenn er sich benimmt wie auf Zahnstocher gespießter Pudding! Meines Erachtens sollte Gottes Sohn nicht dieselben schwammigen Verhaltensmuster anwenden wie meine irdische Jämmerlichkeit. Er macht mir doch sonst auch nichts nach, sondern will, dass ich stattdessen ihm ähnlicher werde!
Was soll ich dich denn fragen?, will ich genervt wissen. Spielen wir jetzt das „Wer kennt die Frage auf die nicht gegebene Antwort“-Spiel?
Du könntest mich fragen, was ich von der Erdbeersahne-Sache halte, regt er an.
Mir geht die Luft aus, als hätte mir jemand in den Bauch geboxt. Wie kommst du jetzt darauf?, gebe ich zurück.

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