30. Juni 2015

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„Ja, also meine Freunde. Wir sind vier in unserer Clique, nämlich Bill, Woody, Alec und ich. Woody ist Italiener, der heißt eigentlich Pino und weil da immer alle denken, er würde in Echt Pinocchio heißen, das ist ja dieser kleine Junge aus Holz, deswegen haben wir ihn irgendwann Woody genannt. Wir sind von Anfang an auf der selben Schule gewesen, aber jetzt … tja, wir sind fertig mit der Schule, Woody und Alec studieren und Bill macht eine Ausbildung. Das ist ziemlich schwierig geworden. Früher haben wir uns jeden Tag in der Schule gesehen und neuerdings müssen wir Termine machen, um uns zu treffen. Ich denk mir, das wird nicht einfacher werden, wenn ich wieder zurück bin.“
„Warum denn das?“
„Wenn man so seine Clique hat, entwickeln sich alle miteinander und man kann die Veränderungen verfolgen, wie etwas gekommen ist und warum sich jemand wie entwickelt hat. Oder man bekommt es gar nicht mit, weil es so langsam passiert. Wenn man aber woanders hingeht und auf einmal wieder kommt, sind die Veränderungen für die Kumpels ganz überraschend.“ Er steht auf und geht zum Fenster. Eine Weile schaut er raus auf die Straße, das heißt, er wird nur seine Spiegelung in der Scheibe sehen, denn draußen wird es wegen der dichten Wolken schon dunkel.
„Deswegen wollte ich eigentlich nicht so lange hier bleiben, höchstens einen Monat. Ich dachte, ein Monat ist nicht viel Zeit, da werde ich mich schon nicht so sehr verändern. Aber ich glaub, ich hab mich schon jetzt zu doll verändert, als dass ich zuhause noch dieselben Sachen machen könnte, die ich vorher gemacht habe. Ich würde schon jetzt nicht mehr die gleichen Sachen wie früher mit meinem Kumpels unternehmen. Die würden mich schon jetzt nicht mehr verstehen.“
„Tut es dir Leid um deine Freunde?“, frage ich.
„Ja“, antwortet er wie aus der Pistole geschossen, um sich gleich darauf zu verbessern: „Das heißt, nein.“ Cokko dreht sich wieder zu mir um. „Also, es tut mir Leid, weil wir uns lange kennen und wir viele Sachen zusammen gemacht haben. Die Erinnerungen, weißt du. Aber wenn ich mit meinem Freundeskreis total zufrieden gewesen wäre, hätte ich mich wahrscheinlich nie auf die Suche nach dir gemacht.“
„Und was meinst du, wodurch das kommt, dass du nicht so zufrieden mit denen gewesen bist?“, will ich interessiert wissen.
„Na ja, ich glaub, ich habe mich in den letzten Jahren anders entwickelt als die, auch wenn wir immer zusammen rumgehangen haben.“
Immerhin ist deine Mama gestorben, denke ich, und weil er abwesend guckt, denkt er wohl auch daran.

Jetzt geht die Tür auf und Ferdinand schaut ins Wohnzimmer. „Wo ist denn Oda?“, will er von mir wissen.
„Noch nicht wieder hier aufgetaucht.“
„Dann geh ich sie mal suchen.“
„Komisch“, sagt Cokko, als wir wieder alleine sind, „ich hab die Klingel gar nicht gehört. Oder hat er einen Schlüssel?“
Das verstehe ich nicht. „Welche Klingel hast du nicht gehört? Und warum sollte er einen Schlüssel haben?“
Cokko holt tief Luft. „Ferdinand ist vorhin nach Hause gegangen. Nein, wahrscheinlich ist er gefahren. Und jetzt taucht er einfach so wieder hier auf und ist im Haus? Wie ist er rein gekommen?“
„Durch die Tür“, gebe ich einen hilfreichen Tipp. „Klinke anfassen, Tür auf, rein, Tür zu.“
„Moment“, sagt er und geht aus dem Zimmer.
Nach kurzer Zeit ist er zurück. „Echt krass! Die Tür hat draußen genau dieselbe Klinke wie drinnen! Da hab ich ja überhaupt noch nicht drauf geachtet! Hat die Tante keine Angst, dass was geklaut wird? Jaja“, winkt er ab, „ich weiß, hier haben alle Leute eigene Sachen, sie müssen keine beim Nachbarn klauen. Trotzdem – stehen denn hier immer alle Türen auf?“

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