Ungefähr fünf Sekunden lang herrscht totale Stille zwischen uns, dann grinst er: „Das geht nicht, dass wir uns nur gegenseitig Fragen stellen und nichts sonst sagen. So wird das keine Unterhaltung. Warum sagst du, dass du mich nicht besuchen kommen kannst?“
Weil wir so ehrlich miteinander umgehen, gebe ich mir einen Ruck und eröffne: „Ich hab keine Ahnung, ob ich Thrombosen kriege, davon hat noch kein Arzt irgendwas gesagt. Dass ich dich nicht besuchen kommen kann, liegt daran, dass ich Flugangst habe.“
Und was fällt meinem Bruder zu diesem Bekenntnis ein? Der lacht!
„Was ist so lustig an Flugangst?“, will ich ein bisschen beleidigt wissen.
„Sorry, das ist nicht lustig, aber es ist nicht so gefährlich wie Thrombosen.“
Ja, ich habe auch gehört, dass man davon sterben kann. Auf einmal wird mir fröstelig entlang der Wirbelsäule. „Ähm … ist sie … also deine – nein, unsere Mutter, ist sie an einer Thrombose gestorben?“
Da ist er wieder, der selbe Ausdruck wie in Douglas’ Augen, als er mich fragte „Weißt du denn gar nichts, du armer Kerl?“ (44)
Bevor er mich für etwas bedauert, für das ich nicht bedauert werden muss, füge ich hinzu: „Mommi hat es mir mal gesagt, aber … das war nicht wichtig für mich, da hab ich’s wieder vergessen.“
„Nein, sie hatte Krebs.“
Die Stille zwischen uns dauert länger als fünf Sekunden. Jetzt sieht mein Bruder aus, als habe er Bedauern nötig. Ich weiß nicht, was ich sagen soll. In mir ist immer noch ein irres Durcheinander, sobald es nur um Lucy geht. Ich habe Jesus zwar gestern vorm Einschlafen gesagt, dass er sich bitte darum kümmern soll, also aufräumen, mein Herz heil machen und so weiter, aber weil ich ihn ja vorher jahrelang nicht in diese Rumpelkammer gelassen habe, denke ich, dass er auch ein bisschen Zeit braucht, bis eine erste Ordnung zu erkennen ist.
Cokko wechselt das Thema.
achtundzwanzigstes Kapitel
Tags darauf regnet es sowohl vor als auch nach der Elf-Uhr-Wetterscheide. Das ist (neben dem Datum – es ist der erste November) ein sicheres Anzeichen dafür, dass der Winter kommt.
Ich kann Cokko, als er endlich aus dem Bett gefunden hat, nicht zu einem kleinen Strandspaziergang überreden, also mache ich mich alleine auf den Weg. Solange ich auf der Insel bin, will ich jeden Tag am Strand sein. Das gehört dazu.
Als ich eine Stunde später gut durchgelüftet zurückkehre, gehe ich dem Lärm nach ins Wohnzimmer, wo ich Tante O, Ferdinand, Henk und meinen Bruder vorfinde, die lautstark Skat spielen.
Tante Os Knopfdose steht auf dem Tisch, und so wie es aussieht, ist Cokko bald pleite. Er hat nicht die allerbesten Karten und dazu kein Glück.
Nach Spielende verzichtet er darauf, eine Revanche zu fordern, obwohl Ferdinand das gerne hätte, und Tante O bietet an: „Wenn ihr alle Hunger habt, könnte ich uns was kochen.“
„Das klingt gut“, bekunde ich, „Was gibt es denn?“
„Was möchtet ihr haben?“, gibt sie die Frage zurück.
Das sieht ihr ähnlich. Die gute Tante kocht gerne, was ihre Freunde mögen. Und am liebsten für eine ganze Horde. Je mehr gegessen wird, desto besser.
„Was ist denn da?“, will Cokko wissen, aber Tante O lacht. „Nein, so geht das nicht. Wenn wir jetzt immer weiter nur hin und her fragen, stehen wir heute Abend noch hier und haben nichts gegessen. Ich stelle die Fragen. Was möchtest du essen?“
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