„Nein, er ist mit dem Auto gekommen, aber er musste sicher nicht selber fahren. Nein, er hatte keine hundert Bodyguards. Er hat sich einfach so unters Volk gemischt. Natürlich war ein Sekretär oder so jemand dabei, der ihm die Leute vorgestellt hat und einer, der die Mappe mit der Eröffnungsurkunde getragen hat und hinterher den Blumenstrauß. Ja, natürlich war ich aufgeregt, aber weil er ganz normal war, ging es mir bald besser. Er hat mich einfach gefragt, warum ich diesen Beruf lerne und was meine Ziele sind und so. Und dann hab ich ihn gefragt, wie seine Schulzeit war und was er jetzt besser machen würde, wenn er Lehrer wäre. Da hat er gelacht und gesagt, dass er früher Geschichtsunterricht ganz schrecklich fand, aber weil das ja die Geschichte von seinem Volk und dem Land und seiner Familie ist, ist er nie drum herum gekommen.“
„Gibt’s da eine Prinzessin in meinem Alter? Ich könnte in die Sippe einheiraten und wäre dann der erste Prinz von Kanada. Das wäre doch mal was, oder?“, grinst er.
„Du kommst auf Ideen“, grinse ich mit.
sechsundzwanzigstes Kapitel
Weil das Wetter an diesem wie auch dem folgenden Tag recht herbstlich verhält, steigen wir auf den Leuchtturm in West, gehen ins Aquarium nach Kinnum, um exotische wie „einheimische“ Fische anzuschauen und besuchen erst das Heimatmuseum in Landerum und dann auch noch das in Formerum, weil uns nichts besseres einfällt. Das ist auch für mich mal ganz lehrreich und interessant, denn normalerweise geht man ja nur in der Ferne (42) ins Museum, denn zuhause kennt man ja schon alles. Angeblich.
Am ersten Abend versacken wir im „Meeuwenpoep“; am nächsten Tag finden wir uns nach einem windigen und verregneten Strandspaziergang im Wellenbad ein, weil man da nicht viel tun muss, sondern einfach faul rumhängen kann.
Abends biete ich an, ins Kino zu gehen, aber Cornelius sagt, dass er mich etwas fragen will und wir dafür möglicherweise viel Zeit brauchen werden, deswegen will er nichts unternehmen.
Weil Tante O, Henk und Ferdinand das Wohnzimmer besetzt halten, gehen wir mit ein paar Getränken und Knabberkram in unser kleines Zimmer.
„Also, worum geht’s denn?“, will ich wissen, als wir es uns auf dem Bett (und auf der Tagesdecke, damit mein Bruder nicht zwischen Chipskrümeln schlafen muss) gemütlich gemacht haben.
„Ich will gerne wissen, warum du immer so genervt reagierst, wenn ich was von Ma erzähle. Erst habe ich ja gedacht, ich beachte es gar nicht, aber du rollst immer mit den Augen und so, und das nervt mich.“
„Tja“, mache ich.
„Nein, ich will nicht „tja“ hören, sondern ich will wissen, warum du das tust. Ich will wissen, was sie dir getan hat. Und ich will auch wissen, warum du nie einen Brief oder so was geschrieben hast, wenn Gerrit Fotos von dir geschickt hat. Er hat sie doch auch mal besucht, warum bist du nicht mitgekommen? Sie hätte sich gefreut, weißt du.“
„Ich will aber nicht drüber reden, okay?“, mache ich, stehe auf und gehe zum Fenster.
„Nein. Nicht okay. Ich glaub, ich habe ein Recht drauf, das zu erfahren. Ich bin um die halbe Welt geflogen um dich zu treffen. Bis jetzt haben wir uns eigentlich ganz gut verstanden, und auf einmal machst du dicht?“
„Aber ich kenn dich ja kaum“, sage ich, um Zeit zu gewinnen.
„Zur Hälfte haben wir das gleiche Erbgut, und die andere Hälfte lernst du noch kennen, wenn du uns die Chance gibst. Erklär es mir.“ Er guckt mich an und schickt ein „Bitte“ nach.
„Ich glaub nicht, dass sie sich gefreut hätte, wenn ich sie besucht hätte. Schließlich hätte sie mich mitnehmen können, als sie das erste Mal nach Kanada geflogen ist. Oder sie hätte mich später abholen können. Das hat sie nicht gemacht. Warum nicht? Es war ihr wohl nicht so wichtig, dass ich bei ihr bin.“
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