4. Juni 2015

8

Aber es ist unendlich tröstlich, auch in so einem Desaster nicht alleine zu sein. Jesus wird immer auf meiner Seite stehen, das weiß ich, und Mommi wird es kaum anders tun.

Weil ich hauptsächlich bei meinen Großeltern aufgewachsen bin, habe ich ein inniges Verhältnis zu ihnen. Die Namen „Mommi“ und „Popp“ für die beiden stammen aus meinen frühesten Kindertagen, und ich habe sie nie anders genannt.
Von ihnen habe ich fast alles gelernt, was mir heute wichtig ist. Sie haben mir auch ihren Glauben an Gott mit auf den Lebensweg gegeben. Zwar schaffe ich es nicht jeden Sonntagmorgen, in die Kirche zu gehen, doch dann bin ich in der Spätandacht zu finden. Häufig gehen Mommi und ich zusammen hin. Ich möchte nicht ohne Gott leben müssen. Irgendwer muss das irdische Durcheinander überschauen, und es ist eine gute Sache, zu so jemandem eine enge Beziehung zu haben.
Mommi ist für mich die zweitwichtigste Person auf der Welt. Manchmal besuche ich sie jeden Tag, aber hin und wieder habe ich keine Zeit und komme nur einmal pro Woche in die Siedlung, in die sie ein halbes Jahr nach Popps Tod eingezogen ist. Im alten Haus hatte sie über sechzig Jahre zusammen mit Popp gelebt, die Erinnerungen an ihn und die gute gemeinsame Zeit waren ihr einfach zu allgegenwärtig. Jetzt hat sie ein kuscheliges (und erinnerungsfreies) Reihenhäuschen mit Gärtchen dahinter.


drittes Kapitel

Ich wache mit hämmernden Kopfschmerzen auf. Nachts muss ich mich verlegen haben, denn ich kann meinen Kopf kaum bewegen. Zum Duschen brauche ich so lange wie sonst für mein ganzes Morgenritual und ungefähr eine halbe Stunde vor Schulbeginn kapituliere ich: So kann ich nicht arbeiten gehen.
Ich rufe Grietje an, das ist meine Gruppenleiterin. Sie ist diese Woche schon vor mir da. Das geht immer abwechselnd.
„Oh je, du klingst aber gar nicht gut“, sagt sie gleich nach der Begrüßung.
„Ich fühl mich auch nicht gut. Ich hab nen total steifen Hals.“
„Wirst du zum Arzt gehen?“, erkundigt sie sich. Bei uns an der Schule müssen wir uns erst ab dem zweiten Tag von amtlicher Stelle krank schreiben lassen. Was wir davor für oder gegen unsere Krankheiten tun, bleibt uns nach der Abmeldung in der Schule selbst überlassen.
„Nee, ich versuch mich erst mal mit Wärme auszukurieren. Wenn es mittags nicht besser ist, werde ich hingehen, denke ich.“
„Ja, tu das. Gute Besserung.“
Ich habe mich schon fast verabschiedet, als sie sagt: „Da fällt mir ein, was ich dich fragen wollte: Was macht eigentlich dein Fahrrad am Bahnhof?“
„Mein Fahrrad steht am Bahnhof?“, frage ich erstaunt, „Wie ist es da bloß hingekommen?“ Das heißt immerhin, dass es nicht geklaut worden ist. Das ist die erfreulichste Nachricht, die ich seit Freitag zu hören bekomme.
Grietje lacht. „Weißt du neuerdings nicht mehr, wo du dein Fahrrad abstellst? Jetzt wird mir einiges klar.“
„Ich glaub, ich war ziemlich besoffen. Aber warum hab ich es am Bahnhof abgestellt? Das versteh ich nicht. Soll ich dann also zu Fuß wieder nach Hause gegangen sein?“
Sie lacht noch mehr. „Das musst du mich nicht fragen. Warum warst du denn so voll? Gab es einen bestimmten Anlass?“
Früher oder später wird sie sowieso erfahren, was passiert ist, daher kann ich es ihr auch jetzt schon sagen. „Helena hat mich verlassen.“
Das Lachen vergeht ihr. „Oh nein!“, ruft sie bedauernd, „Das tut mir leid, Jeremy!“
Eine Weile ist es an beiden Enden der Telefonleitung still. (4) Dann sagt sie: „Wenn ich dir irgendwie helfen kann, sagst du es mir, ja?“, versichert sie sich.

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