4. Juni 2015

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Eigentlich ist er eher ein Vertreter der Steak-Fraktion, aber so was gibt es bei mir nicht. Wenn ich Fleisch esse, habe ich spätestens eine halbe Stunde später Bauchkrämpfe, die auch mal einen halben Tag andauern können. Das hat mit meinem Darm zu tun, der irgendwelche Enzyme nicht bildet und das Fleisch nicht verdauen kann. Macht nichts! Immerhin vertrage ich Fisch. Außerdem verhungert man nicht als Vegetarier. Pieter stört der Körnerkram nicht, sonst würde er sich nicht dauernd zum Essen einladen.

Später am Abend versichere ich Pieter, dass er nun ausreichend „personengeschützt“ hat, und er findet sich mit dem in höfliche Worte verpackten Rausschmiss ab.
Ich will einfach nur noch meine Ruhe haben und mich schon mal mental darauf vorbereiten, dass Helena in den nächsten Tagen kommt, um ihre Möbel abzuholen. Und dabei habe ich nur zwei Möglichkeiten: Entweder rede ich mich in Rage, oder ich lasse es zu, dass alles über mir zusammenbricht und ich anfange zu flennen wie ein Kind. Das will ich nicht, denn wenn ich einmal damit angefangen habe, kann ich bestimmt so bald nicht wieder aufhören, und davor habe ich Angst. Im Studium hatte ich mal Depressionen, das war schlimm und ich will nicht wieder in so einen Zustand kommen. Lieber will ich mich aufregen, ein paar Gegenstände zerschlagen und Helena runterputzen.
Gegenstände zerschlagen ist ein gutes Stichwort, greife ich den Gedanken auf. Ich sollte alles, was ihr gehört, mit einem Hammer bearbeiten, dann kann sie gucken, was sie damit noch machen will. Was fällt ihr überhaupt ein, mich erst zu verlassen und dann auch noch Sachen haben zu wollen? Wenn sie sich das mit den Möbeln so vorstellt, dass sie einfach nur hier durchmarschieren und ihren Wunschzettel runterleiern kann, hat sie sich geirrt! Ich werde mich nicht kampflos ergeben.
Ihr Typ, dieser Vince, hat von mir nichts zu befürchten, aber Helena kann sich auf was ge­fasst machen! Schluss machen, wenn’s sein muss, aber mich erst drei Monate lang verarschen und mir dann am Freitag einen erzählen, von wegen, du weißt genau, dass es keinen Anderen gibt!! Ich weiß zwar noch nicht wie, aber das werde ich ihr heimzahlen. So ein mieses, falsches Spiel kann sie mit Klaas Kaas machen, aber nicht mit Jeremy van Hoorn!!
Mitten in meine schwarzen Gedanken hinein klopft es an der Tür. Hat Pieter was vergessen? Als er vorhin gegangen ist, hab ich die Wohnungstür schon zugemacht, deswegen muss ich jetzt aufstehen und hingehen. Wer will denn noch was von mir? Eigentlich habe ich gar keine Lust, wen auch immer zu sehen.
Es ist Mommi, meine Oma. Ich habe die Tür kaum geöffnet, da nimmt sie mich in den Arm und sagt „Ach, du Ärmster.“
Ich weiß nicht, ob sie meine Katastrophe schon von jemand anderem erfahren hat oder ob man mir einfach ansehen kann, was passiert ist, aber das ist jetzt auch egal. Sie geht mit mir zum Sofa und wir setzen uns. Sie zieht mich zu sich und streichelt über meinen Kopf, aber ich mache mich wieder los und schiebe ihre Hände weg. Mommis Berührungen bringen mich viel zu leicht um die mühsam aufrechterhaltene Fassung.
„Ach, mein lieber Junge“, sagt sie leise und seufzt. „Darf ich wenigstens für dich beten?“
Ich nicke.
Das tut sie. Sie bittet Jesus, mir den Kummer zu nehmen und stattdessen Frieden zu geben und mich gut schlafen zu lassen. Außerdem dankt sie Jesus dafür, dass sie nach dem Besuch der sonntäglichen Spätandacht unserer Kirchengemeinde nicht wie üblich direkt nach Hause gegangen ist, sondern erst nach mir geguckt hat. Zum Schluss segnet sie mich.

Ich bin noch nicht lange wieder alleine, als ich schließlich doch zu heulen beginne.
Mommis Gebet hat mich daran erinnert, dass Rache nicht der richtige Weg ist, auch wenn Helena mir sehr weh getan hat. Bis ich ihr vergeben kann, wird es noch eine Weile dauern, da bin ich sicher.

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