„Wenn was kaputt ist, ruft Tante O mich an und ich komme und repariere den Kram. Das ist für sie günstig, weil sie keinen Handwerker braucht und für mich ist es schön, weil ich gerne hier bin und auch gerne segle. Von Kilometergeld ist da keine Rede, eher müsste ich Vergnügungssteuer zahlen. Frag mich jetzt aber nicht, wer das dann kriegt, das tut hier auch gar nichts zur Sache“, beende ich das thematische Intermezzo kurzerhand, „Eigentlich ging es ja um den Kühlschrank. Geht dir dabei allmählich ein Licht auf?“, erkundige ich mich freundlich. Der Kühlschrank hat es leicht, der braucht nur einen, der ihm die Tür öffnet, damit ihm ein Licht aufgeht.
„Also darfst du die Sachen essen, die du mitgebracht hast. Oder wie?“
„Nein. Da ich mich an der Arbeit beteilige, darf ich mich auch dran beteiligen, dass der Kühlschrank nicht aus allen Nähten platzt“, werde ich deutlicher. „Ich gehöre sozusagen zum Haushalt, ich darf überall mitmachen. Bloß vor den Mahlzeiten habe ich in der Küche nichts zu suchen, allenfalls zum Zugucken. Kochen ist Tante Os Aufgabe, und dann habe ich mich wie ein Gast zu benehmen. Ansonsten mache ich aber oben die Betten und lege neue Handtücher raus, und wenn jemand die Heizung auf fünf dreht, das Fenster offen lässt und dann aus dem Zimmer geht, so wie das heute morgen im Bad war, dann räume ich da auch auf.“
Der Jemand, den ich damit meine, lässt sich nicht anmerken, ob er sich angesprochen fühlt. „Da du gerade dabei bist, mir die Welt zu erklären, könntest du mir noch erklären, ob ich auch mit Tante O verwandt bin, oder ob sie aus deiner väterlichen Verwandtschaft stammt.“ Dabei fällt ihm noch etwas ein. „Außerdem, ob ich sie auch einfach so mit Du anreden darf. Schließlich machen das hier alle so. Ich hab’s ihr angeboten, aber sie mir nicht. Das finde ich ein bisschen doof“, bekennt er.
„Diese allen, die das machen, kennen Tante O schon ziemlich lange. Bei mir hat es ungefähr drei Jahre gedauert, bis sie mir das Du angeboten hat. Deswegen würde ich sagen, überlass es ihr, wann sie dich in ihren Haushalt aufnehmen will. Ich weiß nicht, nach welchem System sie da vorgeht. Vielleicht ist es eine Vertrauensfrage. Sie kennt dich erst ein paar Tage“, erinnere ich ihn. „Du kannst das eigentlich noch nicht erwarten, schließlich ist sie eine ganz andere Generation als wir.“
Cornelius zuckt die Schultern. „Und die Verwandtschaft?“, bohrt er nach.
„Keiner von uns beiden ist mit ihr verwandt. Sie ist Ieuwkjes Tante. Bevor du fragst, O ist die dringend notwendige Abkürzung von dem unglaublich langen Namen Oda. Sie ist sozusagen eine Adoptivtante.“
„Ah“, dehnt er, „und wer sind „wir“?“
„Der Pluralis Majestatis, ist doch klar“, sage ich lachend. Wir, König Jeremy Willem I., Herrscher von Gottes Gnaden über das IJsselmeer und angrenzende Uferregionen, das klingt gar nicht übel, finde ich. „Nein, das sind Helena und ich. Helena ist meine Ex.“
„Und ich dachte schon, du wärst mit dieser Ieuwkje zusammen gewesen“, gesteht Cornelius verlegen grinsend. „Du bist wirklich kompliziert mit deinen Beziehungen, wer Tante ist und wer Freund und wer nicht. Aber ich glaub, schön allmählich blicke ich durch.“
„So schön allmählich wird das aber auch Zeit“, ulke ich. Mein Bruder ist wirklich süß, auch wenn man ihm das nicht direkt ansieht, weil er die meiste Zeit sehr bemüht ist, cool zu sein. Aber was will man erwarten, in seinem Alter.
fünfundzwanzigstes Kapitel
Cornelius hat ein dickes Buch dabei, in dem er immer mal wieder liest, und im Moment ist er gerade an einer spannenden Stelle. Ich lasse mich durch den Schein seiner Nachttischlampe und das Rascheln der Seiten nicht stören, drehe mich auf der altmodischen, aber komfortablen Klappliege zur Wand und bin bald eingeschlafen.
Am Morgen bin ich wieder recht früh wach und verkrümele mich leise ins Bad. Cornelius hat nicht nur einen anderen Schlafrhythmus als ich, er ist auch noch ziemlich hellhörig, hat er mir gestern gesagt. Um mich zu wecken, muss man sich schon anstrengen.
Gedankenverloren bleibe ich an meines Bruders Bett stehen und betrachte ihn. Sein Gesicht ist entspannt, ein paar Strähnen kringeln sich auf dem Kopfkissen. Neidlos muss ich anerkennen, dass mein Bruder ein hübscher Junge ist, und außerdem, dass Helena wirklich Recht hatte. Es war ein Fehler, die Haare abzuschneiden, zumindest aus ästhetischer Sicht.
Wenn es hingegen um den Imagewechsel geht, so war es die beste Entscheidung, die ich in den vergangenen Jahren getroffen habe. Die Umstellung war hart, aber inzwischen kann ich mir nicht mehr vorstellen, eines Tages wieder so lange Haare zu haben. Das veränderte Aussehen unterstreicht die Entwicklung, die meine Persönlichkeit durchlaufen hat und die sie noch weiter durchlaufen wird.
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