Weil mir spontan so danach ist (ich bin ja meist ein eher impulsiver Mensch, der nicht viel Zeit mit Nachdenken zubringt, wenn es darum geht, etwas zu tun (40)) nehme ich Cornelius herzlich in den Arm – das heißt, ich habe das vor, aber die Windfangwand des Frittenbüdchens kommt mir dazwischen. Und mein linker Ellbogen. Um nicht zu schreien, beiße ich mir auf die Lippe.
„Was hast du denn?“, erkundigt Cornelius sich besorgt. „Oh nein! Nicht beißen! Jeremy, hörst du? Mach die Zähne los! Luft holen!“
Irgendwann lässt der stechende Schmerz nach. „Wie soll ich die Zähne los machen?“, lenke ich mich ab und wische mir über die Augen.
Cornelius wirkt noch ganz erschrocken. „Was ist passiert? Warum hast du dich gebissen?“
„Hab mich gestoßen an dieser blöden Ecke“, ich weise hinter mich.
„Aber warum tut das so schrecklich weh, dass du dich selber beißt?“
Ich schiebe den Pulloverärmel hoch, sodass ein paar nicht allzu schön anzusehende Narben sichtbar werden. „Vor ein paar Jahren hatte ich den gebrochen. Es war ein komplizierter Trümmerbruch und zwei Operationen waren nötig, um alles wieder zu richten. Inzwischen geht’s wieder, außer ich stoße mich. Beschwerden hab ich allerdings den ganzen Tag schon, das macht der Knochen aber nur, wenn ein Tiefdruckgebiet im Anmarsch ist. Keine Ahnung, was da heute los ist.“
„Schließlich hieß es in der Wettervorhersage, dass es schön bleibt“, stellt er fest.
Sollte es Wettervorhersage heißen, weil es eine Sage ist? Mich interessiert etwas anderes mehr: „Woher kannst du das?“
„Woher kann ich was?“
„Solche Anweisungen geben wie ein … Rettungssanitäter. Zähne losmachen, Luft holen. Und so.“
„Ich wollte früher mal Feuerwehrmann werden, deswegen habe ich an sehr vielen Erste-Hilfe-Kursen teilgenommen. Teils fanden sie an meiner Schule statt, teils aber auch im Krankenhaus oder natürlich bei der Feuerwehr. Die Anweisungen gehörten dazu. Das Opfer hat schon genug Probleme, es kommt von alleine nicht drauf, was ihm am dringendsten fehlt. Atemluft zum Beispiel.“
„Krasse Sache.“
„Der Idealfall ist allerdings, dass das Opfer auch macht, was man ihm sagt.“
„Gib mir noch ne Chance. Sag es mir beim nächsten Mal wieder, dann hol ich Luft.“
Als wir weiter fahren, hat Cornelius seinen Humor wiedergefunden. „Eigentlich müsste der Ellbogen bei dir Ellecke oder Ellspitze heißen. Von ‘nem Bogen seh ich nicht viel. Und überhaupt sind die meisten Wörter bei dir falsch. Bauch zum Beispiel klingt ziemlich dick, aber was ist bei dir dick? Der würde besser Dünnch heißen“, scherzt er.
Dafür, dass mein Bruder laut eigener Aussage nicht verrückt ist, denkt er über lustige Dinge nach. Es ist wirklich schön, dass er hier ist. Und sein seltsames Niederländisch kommt mir mittlerweile gar nicht mehr so seltsam vor.
Er scheint einer dieser Sprachbegabten zu sein, die sich eine Sprache nur anhören müssen, um sie korrekt aussprechen zu können. Ich finde das ziemlich beneidenswert, denn bei mir geht das nicht so einfach. Wie Cornelius gestern Abend treffend bemerkt hat, hört man es meinem Englisch an, dass ich kein Kanadier bin. Im Deutschen ist es genauso. (41)
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