Zu diesem Schluss bin ich ebenfalls gekommen. Nur hat sie noch nicht gesagt, wie sie ihn findet. Ich bohre also etwas nach.
„Ach, du“, wehrt sie ab, „wie soll ich wissen, wie ich ihn finde, wenn ich ihn noch gar nicht kenne? Das war nur ein erster Eindruck. Meine Meinung von dir hat sich auch verändert, seit du das erste Mal hier warst. Also was soll die Frage.“
„Und wie fandest du mich, als ich das erste Mal hier war?“, erkundige ich mich.
Tante O weicht aus: „Möchtest du eine nette oder lieber eine ehrliche Antwort?“
„Die ehrliche. Schließlich hat sich deine Meinung ja geändert; vermutlich zum Besseren.“
Sie ziert sich immer noch, rückt aber irgendwann mit der Wahrheit raus: „Langweilig.“
Ihr Bekenntnis überrascht mich nicht. Das denken viele Leute von mir, ich bin halt nicht so eine Stimmungskanone.
„Aber es hat sich ja dann bald geändert“, winkt sie ab.
Just in diesem Augenblick kommt Cornelius auf die Terrasse. Er hat eine Sporttasche dabei und kaut noch an seinem Marmeladenbrot. „Eh, altes Rennauto, können wir?“, ruft er, zieht das Fahrrad aus dem Ständer und ist schon auf der Straße.
Bis zum Parkplatz am Strand habe ich ihn längst eingeholt, unter anderem liegt das daran, dass ich eine Abkürzung durch die Dünen genommen habe; er musste sich jedoch aufgrund mangelnder Ortskenntnis an den Weg von gestern Abend halten.
Als wir ans Wasser gehen, fragt er: „Sag mal, dieser Kuchen da bei der Tante O in der Küche – hat der eine besondere Bedeutung?“
„Das kommt ganz drauf an, wie du besondere Bedeutung definierst“, gebe ich zurück.
„Also, wenn man mal davon ausgeht, dass ein normaler Kuchen keine Kerzen hat und der hatte neun Stück, könnte man definieren, dass jemand heute Geburtstag hat und neun Jahre alt geworden ist. Aber wer soll das sein?“
„Es waren nicht neun, sondern zwei und sieben. Und ich bin mit sofortiger Wirkung siebenundzwanzig.“
„Mist!“, ruft er und schlägt sich an die Stirn, „ich wusste, dass ich irgendwas vergessen hatte! Zuhause hab ich noch dran gedacht. Sorry. Aber trotzdem herzlichen Glückwunsch und alles Gute.“
„Danke“, mache ich.
In seiner Tasche befinden sich eine Schwimmbrille, ein Paar Plastiksandalen, eine trockene Shorts und zwei verschieden große Badehandtücher, außerdem eine Vorrichtung mit großem Haken und kleiner Dose, deren Zweck ich nicht verstehe. Cornelius dreht den Haken, der aussieht wie ein überdimensionaler Korkenzieher, durch ein Loch im Boden der Tasche in den Sand und befestigt die kleine Dose zwischen Haken und Tasche.
„Was ist das?“, will ich wissen.
„Eine Diebstahlsicherung, was denkst denn du. Sobald einer die Tasche mehr als drei Zentimeter hoch reißt, geht in dieser Kapsel eine Alarmsirene los. Und nur ich weiß den Code, wie sie wieder abzuschalten ist. Ich will doch nicht gleich ohne meine Klamotten dastehen“, erklärt er.
Ideen haben diese Kanadier, so was habe ich ja noch nie gehört. Trotzdem frage ich: „Mal ehrlich, was glaubst du, wie viele von den paar Leutchen hier so scharf auf eine herumstehende Sporttasche sein werden, dass sie ausgerechnet deine mitnehmen? Wir sind hier nicht in Kanada, sondern auf Dersummeroog. Die meisten Leute, die jetzt noch auf der Insel sind, wohnen hier. Die haben alle ihre eigenen Sporttaschen.“
Cornelius zeigt sich unbeeindruckt. „Ich schließe die Tasche trotzdem ab.“ Dabei zieht er Schwimmbrille und Plastiksandalen an. Was will er bloß mit dem ganzen Kram?
„Tu das. Ich lege meine Sachen hier hin.“ Aus der Jackentasche hole ich eine knitterige Plastiktüte, fülle sie mit meinen Kleidungsstücken und deponiere sie in einer eigens dafür geschaffenen Sandkuhle. Die Schuhe stelle ich oben drauf, damit nichts wegfliegt.
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